Der Internationale Strafgerichtshof hat die ersten beiden Haftbefehle in der Darfur-Situation erlassen. Die beiden Betroffenen, ein Minister und ein Janjaweed-Führer, sind keine Überraschung. Nachfolgend werden die Rechtsfragen erörtert.

Die Verdächtigen

1      Der Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) hat Ende Februar 2007 Vorladungen für Ahmad Muhammad Harun und Ali Muhammad Ali Abd-al-Rahman alias Ali Kushayb beantragt. Beide Namen sind keine große Überraschung. Harun war als Innenminister verantwortlich für das „Darfur Security Desk“ des Ministeriums. Kraft dieses Amtes koordinierte er die „counterinsurgency campaign“ der Regierung und war, laut den Ermittlungsergebnissen, vor allem für die Rekrutierung weiterer Janjaweed verantwortlich. Seit 2006 ist er Minister für humanitäre Angelegenheiten. Ali Kushayb ist eine führende Persönlichkeit in West-Darfur und soll mehrere Tausend Janjaweed befehligt haben.

Der Antrag des Anklägers: Haftbefehl oder Vorladung?

2      Der Ankläger kann zu dem Schluss kommen, dass Ermittlungen keine Grundlage für Anklagen bieten und das Verfahren einstellen, Art. 53 Abs. 2 IStGH-Statut. Kommt er zu dem Schluss, dass eine Basis für Anklagen besteht, kann er Haftbefehle bzw. Vorladungen nach Art. 58 IStGH-Statut bei der Vorverfahrenskammer beantragen. Haftbefehle sind zu erlassen, wenn ein begründeter Verdacht dafür vorliegt, dass Straftaten unter der Gerichtsbarkeit des IStGH begangen wurden, und die Festnahme der Person notwendig erscheint um sicherzustellen, dass sie zur Verhandlung erscheint, dass sie die Ermittlungen oder das Verfahren nicht behindert oder um sie an der Begehung weiterer Straftaten zu hindern. Vorladungen sind angebracht, wenn eine Festnahme nicht erforderlich ist, Art. 58 Abs. 7 Statut.

3      Auf den ersten Blick scheinen die Voraussetzungen für einen Haftbefehl zumindest für Harun vorzuliegen: Der Konflikt dauert an, und er ist noch immer Mitglied der Regierung. Schon in der Vergangenheit hat Harun versucht, Beweise verschwinden zu lassen. Der Ankläger beantragt dennoch keinen Haftbefehl, sondern nur eine Vorladung. Es stellt sich somit die Frage, ob der Ankläger die Vorraussetzungen des Art. 58 Abs. 1 IStGH-Statut für nicht erfüllt hält. Der Ankläger macht sich dies einfach und verweist die Frage der Auswahl einer Maßnahme an die Kammer. Es liege in deren Ermessen, zu entscheiden, welche der zwei Optionen durch die Beweise gestützt werden. Seiner Einschätzung nach reichten Vorladungen aus; erst wenn der Sudan bzw. die beiden Vorgeladenen den Beschlüssen nicht nachkämen, sollten Haftbefehle erlassen werden. Der Ankläger rechnet Harun hoch an, dass er bereits mit Strafverfolgungsbehörden kooperiert hat und er geht von einer weiteren Bereitschaft zu einer solchen Kooperation aus.

Die Haftbefehle der Kammer

4      Die Kammer folgt dieser Argumentation nicht, und das zu Recht. Sie geht davon aus, dass ihr Auswahlermessen zwischen Haftbefehlen und Ladungen begrenzt ist. Der Erlass eines Haftbefehls ist, der Kammer zufolge, der Regelfall, während der Erlass einer Vorladung nur die Ausnahme darstellt. Damit kehrt sie die Reihenfolge, die der Ankläger vorschlägt, um. Insoweit befindet sie sich in Übereinstimmung mit der Auslegung des Art. 58 Abs. 7 IStGH-Statut in der Literatur.

5      Allerdings geht die Kammer weiter und konstruiert die Ladung als strenge Ausnahme. Nach ihrer Auffassung kommt eine Ausnahme vom Haftbefehl nur in Betracht, wenn die Person freiwillig vor dem Gerichtshof erscheinen kann. Für das Erscheinen in Den Haag verlangt sie ausreichende Garantien. Im Hinblick auf die englische Fassung des Statuts erscheint dies problematisch. Vorladungen sind danach u.a. dann angebracht, wenn damit sichergestellt werden kann, dass die Person erscheint („ensure the person’s appearance“). Auch das Merkmal „freiwillig“ taucht im Statut nicht auf. Auf der anderen Seite trägt die Auslegung der Kammer zur Effektivität des Verfahrens bei, denn für die mildere Alternative der Vorladung muss so ein erhöhter Begründungsaufwand betrieben werden. Auch in den meisten anderen anhängigen Verfahren wurden Haftbefehle ausgestellt.

6      Auch in tatsächlicher Hinsicht ist die Kammer davon überzeugt, dass ein Haftbefehl erforderlich sei. Sie verweist darauf, dass Harun noch immer zum „inneren Kreis“ der Regierung zähle und bereits früher Beweise manipuliert bzw. verschwinden lassen habe. Der Einschätzung der Kammer ist insoweit zuzustimmen. Auch wenn Harun inzwischen den Geschäftsbereich gewechselt hat, so trägt er als Regierungsmitglied eine Mitverantwortung für den weiterlaufenden Konflikt.

7      Auch bei Ali Kushayb hält die Kammer einen Haftbefehl für erforderlich – anders der Ankläger. Die Begründung der Kammer vermag jedoch nicht zu überzeugen. Ali Kushayb saß zum Zeitpunkt des Erlasses des Haftbefehls seit Dezember 2006 in sudanesischer Haft. Sein Erscheinen in Den Haag hing also nicht mehr von ihm selbst ab, sondern nur davon, dass die sudanesischen Behörden ihre Verpflichtung erfüllten, ihn zu überstellen. Die Kammer jedoch begründet ihren Haftbefehl gerade mit der Inhaftierung, denn dadurch werde er darin gehindert, freiwillig in Den Haag zu erscheinen. Bedenkt man, dass die „Freiwilligkeit“ als Voraussetzung durch die Kammer eingeführt wurde, so verwundert diese Argumentation noch etwas mehr.

8      Zur Unterstützung ihres Ergebnisses zieht sie auch die Beweis- und Verfahrensregeln heran. Aus einer Zusammenschau der Art. 58 Abs. 5, 89, 91 IStGH-Statut und Regel 183 ergebe sich, dass eine Vorladung nur möglich sei, wenn der oder die Betroffene nicht inhaftiert sei. Da keine Regelungen für eine Überstellung einer inhaftierten Person getroffen worden seien, sei es nicht denkbar, eine Vorladung auszustellen. Nach den aufgestellten Grundsätzen kommt für die Kammer daher nur der Erlass eines Haftbefehls in Betracht.

9      Dabei übersieht die Kammer den Art. 93 Abs. 7a IStGH-Statut, womit die zeitweilige Übergabe eines Häftlings an den IStGH geregelt wird, und unterlässt es somit, einige klarstellenden Bemerkungen zu machen. Art. 93 IStGH-Statut gilt grundsätzlich nur für die Zusammenarbeit mit den Vertragsparteien des Statuts. Durch Absatz 2 der Sicherheitsratsresolution 1593 wurde der Sudan jedoch zur Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof verpflichtet. Somit ergibt sich über Art. 25, 41, 39 VNCh i. V. m. Res. 1593 (2005) eine Bindung des Sudans an die Regelungen des neunten Teils des Statuts.

10   Die zeitweilige Übergabe nach Art. 93 Abs. 7 IStGH-Statut wird als subsidiär zur Überstellung nach Art. 89, 91 IStGH-Statut gesehen. Ist ein Verdächtiger in einem nationalen Verfahren in Haft, so scheint jedoch Art. 93 Abs. 7a, 7b IStGH-Statut die einschlägige Vorschrift zu sein, mit der die Überstellung geregelt wurde. Ali Kushayb könnte wohl nach dieser Vorschrift nach Den Haag überstellt werden, seine Aussage machen und wieder zurück in den Sudan gebracht werden. Während dieser Zeit ist seine Inhaftierung gemäß Art. 93 Abs. 7b IStGH-Statut sichergestellt. Dennoch befriedigt Art. 93 Abs. 7a, 7b IStGH-Statut keineswegs. Die nur zeitweilige Überstellung ist nicht Sinn und Zweck des Verfahrens, schließlich sollen die Ermittlungen in einem Verfahren und einem Urteil enden. Art. 93 IStGH-Statut ist dagegen eine Regelung zur Rechtshilfe während des Ermittlungs- und Hauptverfahrens.

11    Auch bleibt der genaue Umfang der Bindung an Teil 9 des Statuts durch eine Kapitel-VII-Resolution unscharf. Hier hätte die Kammer Stellung beziehen können, ob der Sudan wie eine Vertragspartei verpflichtet wird, also an den Wortlaut der einzelnen Bestimmungen gebunden ist, oder ob das genaue Verfahren der Zusammenarbeit anders geregelt wird. Gerade weil der Sicherheitsrat den Umfang der Kooperationspflicht nicht geregelt hat, muss der Sudan nämlich ebenso wie eine Vertragspartei behandelt werden (vgl. R. Frau, Sicherheitsratsresolution 1593 [2005] – Wirksame völkerrechtliche Grundlage für Maßnahmen des IStGH im Darfur-Konflikt, DarfurSituation.org Analyse Nr. 1, 2010, Rn. 15 ff.).

Keine Immunität für Minister Harun

12    Diese Kritik darf jedoch nicht über die positiven Aspekte der Entscheidung hinwegtäuschen. Gemäß dem Ziel des Gerichtshofs, nur die schwersten Verbrechen zu verfolgen, konzentrierte sich der Ankläger auf die Spitze der Befehlskette. Wenn er auch nicht bei der Staatsleitung angefangen hat, muss doch betont werden, dass mit seinem Antrag und der Entscheidung der Prozess gegen einen amtierenden Minister vorbereitet wird. Gemäß Art. 27 des Statuts genießen Minister schon vertragsrechtlich keine Immunität. Auch für die postulierte gewohnheitsrechtliche Ausnahme von der Immunität dürfte dieser Fall wertvolle Staatenpraxis darstellen und somit zu einer Festigung dieser Norm beitragen. Auf lange Sicht gesehen wird dieser Aspekt bedeutender sein als die angesprochene Kritik an den verfahrensrechtlichen Fragen.

Die Tatbestände und die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts

13    Die Ermittlungen konzentrierten sich auf Angriffe auf einige Dörfer in West-Darfur in den Jahren 2003 und 2004. Der Antrag des Anklägers beinhaltet 51 Anklagepunkte wegen Verbrechen gegen die Menschheit und Kriegsverbrechen. Zur Strafbarkeit wegen Völkermordes äußerte sich der Ankläger, und somit auch die Kammer, nicht. Angesichts der praktischen Schwierigkeiten, die eine Strafverfolgung gerade im Hinblick auf den Nachweis der subjektive Seite des Völkermordes überwinden muss, scheint eine Anklage nach Art. 7 f. IStGH-Statut effektiver zu sein.

14    Harun und Ali Kushayb wird die Begehung einer Kollektivtat nach Art. 25 Abs. 3 lit. d) IStGH-Statut vorgeworfen, Harun die Anstiftung zum Kriegsverbrechen der Plünderung und Ali Kushayb mehrmalige eigenhändige Kriegsverbrechen.

15    Das Statut unterteilt die Strafbarkeit für Kriegsverbrechen nach der hergebrachten Unterscheidung zwischen internationalen und innerstaatlichen bewaffneten Konflikten. Schon die Untersuchungskommission klassifizierte den Konflikt ohne große Begründung als innerstaatlich. Der Ankläger folgte dieser Einschätzung. Mag dies damals noch zutreffend gewesen sein, so wird man dies heute jedoch in Frage stellen müssen. Angesichts der Verwicklung des Tschad in den Darfur-Konflikt muss von einem internationalen bewaffneten Konflikt ausgegangen werden.

16    Folgt man allerdings dem IStGH, dann können auch in eben diesem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt Kriegsverbrechen begangen werden. Dies war zwar lange Zeit umstritten, seit dem Tadić-Urteil des Jugoslawientribunals vom Oktober 1995 ist diese Möglichkeit jedoch weitgehend anerkannt.

17   Im Falle Darfurs können die verletzten Normen anhand der etwas überholten Einteilung in Haager und Genfer Recht aufgezeigt werden: Weniger Probleme bereiten die Vorschriften des Haager Rechts über verbotene Mittel und Methoden der Kriegsführung. Bisher ist nach keinem Angriff über den Einsatz verbotener Mittel und Methoden berichtet worden. Das genaue Gegenteil ist der Fall hinsichtlich der Regelungen des Genfer Rechts, den Regelungen zum Schutze der Zivilbevölkerung, der Kriegsgefangenen und Verwundeten. Die meisten Militäraktionen der Janjaweed sowie der sudanesischen Zentralregierung richten sich direkt gegen die Zivilbevölkerung. Dabei werden sehr oft Dörfer angegriffen, die über keinerlei militärische Einrichtungen verfügen. Zu betonen ist weiterhin die extreme sexuelle Gewalt, deren Opfer unter allen Bevölkerungsgruppen zu finden sind.

Strafverfolgungsmaßnahmen des Sudan und Art. 17 IStGH-Statut

18    Der Gerichtshof ist kann seine Gerichtsbarkeit nur ausüben, wenn nationale Strafverfolgungsmaßnahmen nicht stattfinden oder nicht erfolgversprechend sind, Art. 17 IStGH-Statut. Der Sudan unternimmt allerdings einige strafrechtliche Schritte, die der IStGH zu berücksichtigen hat.

19    Bereits im Mai 2005 setzte der sudanesische Präsident die National Commission of Inquiry ein. Diese hatte die Aufgabe, Vorarbeiten für die nationale Strafverfolgung zu leisten. Unterstützt wurde diese Kommission durch das Judicial Investigations Committee im Januar 2005, das Special Prosecution for Crimes against Humanity Office im September 2005 und im Januar 2006 durch drei Special Prosecution Commissions für die Staaten Darfurs. Die Arbeit dieser ad-hoc-Institutionen soll im Rahmen der Special Criminal Courts on the Events in Darfur (SCCED) verwertet werden. Der erste dieser ebenfalls drei Gerichtshöfe wurde vom Präsidenten des Obersten Gerichtshofs im Juni 2005 (einen Tag nach Bekanntgabe der Ermittlungen durch den IStGH-Ankläger) durch Dekret gegründet, im November 2005 folgte die Gründung der anderen zwei Gerichtshöfe. Diese drei Gerichtshöfe bilden heute einen einheitlichen SCCED mit Sitz an drei Standorten. In Teil II der Statuten wurde die Jurisdiktion festgelegt, demnach ist der Gerichtshof u.a. für die Strafverfolgung zuständig, wenn die Handlungen Verbrechen unter nationalem Recht oder humanitärem Völkerrecht darstellen (lit. a). Schon das Vorhandensein des Gerichtshofs wirft das Problem der Komplementarität mit dem IStGH auf.

20   Art. 17 IStGH-Statut enthält das grundlegende Prinzip des Strafgerichtshofs: Demnach kann auf internationaler Ebene Strafverfolgung nur stattfinden, wenn ein zur Strafverfolgung berechtigter Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, Ermittlungen oder ein Verfahren durchzuführen (Art. 17 Abs. 1 lit. a IStGH-Statut), wenn der Staat sich gegen Ermittlungen bzw. ein Verfahren entschieden hat (lit. b), wenn die Person bereits gerichtlich belangt wurde (lit. c) oder wenn die Straftat nicht die genügende Schwere für den IStGH aufweist (lit. d). Diesen Gesichtspunkt hatte auch die Vorverfahrenskammer I in ihrer Entscheidung zu berücksichtigen.

21    Die Möglichkeit, Kriegsverbrechen vor dem SCCED zu verfolgen, scheint dabei auf den ersten Blick für eine Sperre nach Art. 17 Abs. 1 lit. a) und b) zu sprechen. Bei genauerer Betrachtung ergeben sich jedoch zahlreiche rechtliche und tatsächliche Probleme.

Rechtliche Würdigung der sudanesischen Maßnahmen – Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts

22    Bis zur Ergänzung des ersten Statuts und zur Gründung des zweiten und dritten Gerichtshofs war es nur möglich, nach sudanesischem Strafrecht zu urteilen. Der IStGH soll nach Erwägungsgrund 4 der Präambel jedoch nur die schwersten Verbrechen aburteilen. Deren Täter sind meistens nicht diejenigen, die die Tat eigenhändig begehen, sondern die, die an der Spitze einer Hierarchie stehen. Für diese Fälle existiert das Rechtsinstitut der superior responsibility, das sowohl in Art. 28 IStGH-Statut als auch im Gewohnheitsrecht verankert ist. Es gilt jedoch nur für die völkerstrafrechtlichen Tatbestände, auf sudanesisches Strafrecht kann es nicht ausgeweitet werden. Somit bestand keine Möglichkeit, militärische oder zivile Vorgesetzte für die Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen. Dieses Problem stellt sich nach der Ergänzung der Gerichtsbarkeit des SCCED bzgl. des humanitären Völkerrechts nicht mehr.

Rechtliche Würdigung der sudanesischen Maßnahmen – Der Besondere Teil des Völkerstrafrechts

23    Die Statuten des SCCED sehen keine Strafbarkeit für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und für Völkermord vor. Beide sind auch nach sudanesischem Strafrecht (Stand Sommer 2009) nicht strafbar. Solange die anhängigen Gesetzesentwürfe nicht verabschiedet wurden, kann ein Verfahren vor dem SCCED kein Verfahren vor dem IStGH ausschließen.

Würdigung der tatsächlich stattfindenden sudanesischen Strafverfolgung

24    Die Gerichtsbarkeit des IStGH wird nur ausgeschlossen, wenn die innerstaatliche Strafverfolgung dieselbe Person aufgrund desselben Verhaltens verfolgt, wie der IStGH.

25    Schon generelle Aussagen über den SCCED zeigen die fehlende Relevanz für den Komplementaritätsgrundsatz auf. Der Ankläger hat in seinen Berichten an den Sicherheitsrat immer wieder betont, dass die vor dem SCCED verhandelten Fälle seine Strafverfolgung nicht unzulässig machen. Begründet wird dies damit, dass die Fälle vor dem SCCED – wenn es denn zur Verhandlung kommt – meistens reguläre Verbrechen beinhalten, die nur am Rande mit dem Konflikt zu tun haben. Bisher wurden vor den Tribunalen weniger als 30 Anklagen verhandelt, dabei waren 18 Angeklagte rangniedrige Mitglieder staatlicher Truppen. Diese Fälle beinhalteten einzelne Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, der Gesamtkontext des Konflikts wird in den Verfahren nicht deutlich. Die Cassese-Kommission, die dem Sicherheitsrat eine Überweisung des Darfur-Konfliktes empfohlen hat, hat bereits Anfang 2005 51 Verdächtige identifiziert und deren Namen in einem versiegelten Umschlag an den VN-Generalsekretär übergeben. Während vor dem SCCED noch im Juni 2006 keine Fälle völkerstrafrechtlicher Tatbestände vorlagen, gab es inzwischen (Stand Sommer 2009) 14 Festnahmen wegen Kriegsverbrechen, darunter die von Ali Kushayb. Die Zahl der Identifizierungen durch die Cassese-Kommission zeigen, dass es weit mehr als ein Dutzend Täter geben muss. Im Antrag des Anklägers wird dargelegt, wie wenig die sudanesischen Behörden selbst über die Verfahren wissen. So scheint weder klar zu sein, wie viele Personen angeklagt bzw. verurteilt wurden noch wer diese Personen sind.

26    Neben dem SCCED bestehen die Specialized Courts weiter. Diese hatten ähnliche Aufgaben wie der SCCED und haben ihre Verfahren nach der Einsetzung des Special Courts an diesen übertragen. Sie bleiben aber weiterhin existent und zuständig. Das Verhältnis zwischen SCCED und Specialized Courts ist nicht geklärt.

27   Gegen Harun läuft kein Verfahren vor dem SCCED, offenbar laufen auch keinerlei andere Strafverfolgungsmaßnahmen gegen ihn. Ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wurde von al-Bashir mit der Begründung gestoppt, dass Harun unschuldig sei.

28    Das Verfahren gegen Ali Kushayb vor dem SCCED beinhaltet nicht das gesamte tatsächliche Geschehen, das der IStGH-Ankläger ihm vorwirft und auch nicht alle in Frage kommenden Tatbestände. So fehlen u.a. die Punkte Vergewaltigung und Folter. Inzwischen ist Ali Kushayb wieder aus sudanesischer Haft entlassen worden, mit der Begründung, es lägen keine Beweise gegen ihn vor. Nach der Rechtsprechung des IStGH mangelt es bei der staatlichen Strafverfolgung Ali Kushaybs, welche die internationale Strafverfolgungsmaßnahmen ausschließen würde, somit an den entscheidenden Punkten.

29    Allein die geringe Anzahl der Verfahren im Verhältnis zu den geschätzten Zahlen von Opfern und Mitgliedern der Konfliktparteien lässt den Schluss zu, dass die nationalen Strafverfolgungsbehörden nicht in der Lage oder willens sind, die Verbrechen aufzuklären und die Täter strafrechtlich zu verfolgen. Auch das Fehlen der Strafbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord vor dem SCCED zeigt die Halbherzigkeit der sudanesischen Strafverfolgungsbehörden.

30   Die Existenz des Sondergerichtshofs (und das Verfahren gegen Ali Kushayb vor dem SCCED) ist damit nicht geeignet, substantielle Bedenken nach Art. 17 IStGH-Statut zu begründen. Vielmehr ist dessen Einrichtung nur erfolgt, um die Strafverfolgung durch den IStGH auszuschließen. Somit ist der IStGH nicht aufgrund der Subsidiarität zur nationalen Strafverfolgung daran gehindert, Handlungen in Darfur strafrechtlich zu untersuchen und anzuklagen. Die Ausnahmegründe von Art. 17 Abs. 2 IStGH-Statut greifen ein.

Ergebnis

31    Der Antrag des Anklägers ist im Großen und Ganzen zu begrüßen, ebenso wie die Entscheidung der Kammer. Stellenweise sind die Entscheidungen zu kritisieren. Auf lange Sicht dürften die positiven Aspekte überwiegen. Zwei Jahre nach Überweisung der Situation in Darfur sind damit konkrete Strafverfolgungsmaßnahmen eingeleitet.

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