Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat die Situation in Darfur (Sudan) im März 2005 an den Internationalen Strafgerichtshof überwiesen. Die Resolution wirft Rechtsfragen auf, ist im Ergebnis aber rechtmäßig und begründet die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs über Handlungen im Sudan, die nach dem 1. Juli 2002 begangen worden sind.
Die Rechtmäßigkeit der Resolution am Maßstab der Charta der Vereinten Nationen
1 Der Sudan ist nicht Vertragspartei des IStGH-Statuts, Maßnahmen des Gerichtshofs muss der Sudan grundsätzlich nicht dulden. Dies ändert sich nur durch eine Resolution nach Kapitel VII VNCh, die der Sudan als Mitglied der Vereinten Nationen befolgen muss, Art. 25 VNCh. Eine solche Resolution nach Kapitel VII VNCh ist die Resolution 1593 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. März 2005, mit der der Sicherheitsrat die Situation in Darfur an den IStGH überwiesen hat.
2 Um rechtlich verpflichtend, also wirksam, zu sein, muss die Sicherheitsratsresolution rechtmäßig sein: Durch eine rechtswidrige Resolution kann der fehlende Konsens des Sudan nicht ersetzt werden. Die Rechtmäßigkeitsanforderungen an eine Resolution des Sicherheitsrates sind umstritten, soll hier aber nicht vertieft werden. Voraussetzung ist in jedem Fall, dass der Sicherheitsrat eine Gefährdung oder einen Bruch des Weltfriedens oder eine Angriffshandlung feststellt, Art. 39 VNCh.
3 Die Bevölkerung Darfurs flüchtet zu Hundertausenden aus dem Sudan in die Nachbarstaaten, vor allem in den Tschad. Weitgehend anerkannt ist, dass solche Füchtlingsströme eine Gefährdung des Weltfriedens bzw. des regionalen Friedens begründen. Damit liegen die Voraussetzungen für ein Handeln nach Kapitel VII VNCh vor.
4 Bei der Auswahl seiner Maßnahmen im Rahmen von Kapitel VII VNCh ist der Sicherheitsrat sehr frei. Er genießt ein nahezu unbeschränktes Auswahlermessen. Anerkannt ist, dass der Sicherheitsrat auch eine strafrechtliche Aufarbeitung eines Konfliktes initiieren darf. Dies hat er mit der Gründung der ad-hoc-Straftribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda in den 1990er Jahren getan. Mit der Überweisung an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) nutzt der Sicherheitsrat den IStGH als quasi-ad-hoc-Tribunal, eben begrenzt für den Darfur-Konflikt. Der Sicherheitsrat bedient sich somit des anerkannten Kapitel-VII-Kanons.
5 Damit bleibt die Res. 1593 (2005) in dem Rahmen, den die VNCh absteckt, und ist an diesem Maßstab gemessen rechtmäßig.
Rechtmäßigkeit am Maßstab des IStGH-Statuts
6 Die Überweisung an den IStGH soll die Gerichtsbarkeit des IStGH auch für Handlungen begründen, die auf dem Gebiet des Sudan begangen worden sind. Dies kann nur durch eine Sicherheitsratsresolution geschehen, da der Sudan nicht Vertragspartei des IStGH-Statuts ist. Allerdings dürfen die Organe des IStGH nur in dem Rahmen handeln, der durch das IStGH-Statut gesetzt wird. Daher muss eine Überweisungsresolution immer im Rahmen des IStGH-Statuts bleiben. Fraglich ist damit, ob die Res. 1593 (2005) diese Grenzen einhält, m. a. W., ist die Resolution, gemessen am Maßstab des Statuts, rechtmäßig?
7 Rechtsgrundlage für die Geltung einer Sicherheitsratsresolution für den IStGH ist Art. 13 lit. b) IStGH-Statut. Diese Rechtsgrundlage wird in Res. 1593 (2005) nicht explizit erwähnt. Dies ist unschädlich. Denn andere Rechtsgrundlagen kommen für eine Überweisung nicht in Betracht. Dem IStGH muss in seinem Primärrecht, also dem Statut, ausdrücklich eine Kompetenz verliehen werden. In dem Statut finden sich jedoch nur die Regelungen der Art. 12 f. IStGH-Statut. Ein Verweis auf die konkrete Rechtsvorschrift ist nicht vorgeschrieben.
8 Zu beachten bleibt, dass der Sicherheitsrat nicht ohne weiteres an den Maßstab des Statuts gebunden ist. Als Organ der Vereinten Nationen ist er grds. ebenso unabhängig vom Recht des IStGH, wie der vom Recht der VN unabhängig ist. Der Maßstab des Statuts kann aber herangezogen werden, weil die VN durch den Abschluss des Relationship Agreements mit dem IStGH von 2004 das IStGH-Statut anerkannt haben und sich der Sicherheitsrat bei der Kooperation mit dem IStGH bislang an das Statut gehalten hat (venire contra factum proprium). Dabei muss betont werden, dass dieser Maßstab nur für den Rahmen des IStGH gilt, eine statutswidrige Resolution also nur im Rahmen des IStGH keine Wirkung entfaltet, außerhalb des IStGH aber voll wirksam bleibt.
Einschränkung der Gerichtsbarkeit ratione personae
9 Der Sicherheitsrat erstreckt die Überweisung auf „die Situation in Darfur seit dem 1. Juli 2002“, wobei er zugleich beschließt „dass Staatsangehörige, derzeitige oder ehemalige Amtsträger sowie derzeitiges oder ehemaliges Personal eines beitragenden Staates außerhalb Sudans, der nicht Vertragspartei des Römischen Statuts ist, in Bezug auf alle behaupteten Handlungen oder Unterlassungen auf Grund von oder im Zusammenhang mit Einsätzen in Sudan, die vom Sicherheitsrat oder von der Afrikanischen Union eingerichtet oder genehmigt wurden, der ausschließlichen Gerichtsbarkeit dieses beitragenden Staates unterliegen“. Damit erstreckt er (a) die Gerichtsbarkeit des IStGH auf Taten, die im Sudan begangen wurden, soweit diese (b) nicht von Staatsangehörigen anderer Nichtvertragsstaaten begangen wurden und schafft (c) eine ausschließliche Zuständigkeit der Drittstaaten für ihre Staatsangehörigen.
10 Zu (a): Die Ausweitung der Gerichtsbarkeit auf Verbrechen begangen auf sudanesischem Territorium ist völkerrechtsgemäß (Rn. 2).
11 Zu (b): Die völkerrechtliche Zulässigkeit der Ausnahme von bestimmten Drittstaatsangehörigen ist umstritten.
12 Gegen die Zulässigkeit sprechen die Gedanken der Gerechtigkeit und Gleichbehandlung. Weitet der Sicherheitsrat die Gerichtsbarkeit auf einige Drittstaatsangehörige aus, begrenzt die Gerichtsbarkeit aber bei anderen Drittstaatsangehörigen wieder, so könnte man dieses als willkürlich bezeichnen.
13 Für die Zulässigkeit spricht aber schon, dass es ein Willkürverbot für den Sicherheitsrat nicht gibt. Selbst wenn man ein solches akzeptierte, kann die Gerichtsbarkeitsausnahme nicht als willkürlich bezeichnet werden. Denn das Völkergewohnheitsrecht kennt verschiedene Anknüpfungsprinzipien, welche die Ausübung von Strafgewalt erlauben. Das IStGH-Statut nutzt, solange es sich um Staatenüberweisungen oder proprio-motu-Ermittlungen handelt, mit Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut nur zwei Anknüpfungspunkte und bleibt damit hinter dem Gewohnheitsrecht zurück. Für den Fall einer Sicherheitsratsüberweisung hält das Statut dagegen keine Bestimmung vor. Damit ist der Sicherheitsrat frei, irgendeines der gewohnheitsrechtlichen Anknüpfungsprinzipien auszuwählen – oder, e contrario, auszuschließen. Durch die Regelung in Absatz 6 nimmt der Sicherheitsrat dem IStGH durch die „Ausnahme“ eben keine Kompetenz, die dieser vorher hatte – der Sicherheitsrat schafft erst die Kompetenz.
14 Zu (c): Rechtmäßig ist auch die Begründung der ausschließlichen Strafgewalt des truppenstellenden Staates. Im völkerrechtlichen Vertragsrecht sind Verpflichtungen für die Vertragsparteien zu finden, bestimmte Straftaten zu verfolgen. Verpflichtet werden dabei nicht nur die Heimatstaaten der Verdächtigen, sondern auch Tatort- oder Opferstaat. Damit schafft das Völkerrecht gerade keine ausschließliche Gerichtsbarkeit eines Staates für seine Staatsangehörigen. Über die Vorrangregelung in Art. 103 VNCh kann der Sicherheitsrat die Staaten jedoch von diesen Pflichten entbinden, wenn er eine Resolution nach Kapitel VII erlässt.
Zusammenarbeitspflicht der Staaten
15 Der Sicherheitsrat fordert den Sudan ausdrücklich dazu auf, mit dem IStGH zu kooperieren. Auch hier gilt, dass der Sudan ohne Sicherheitsratsresolution nicht zur Kooperation verpflichtet ist. Die Res. 1593 (2005) schafft eine Zusammenarbeitspflicht.
16 Allerdings lässt der Sicherheitsrat offen, zu was genau der Sudan verpflichtet ist. Vorgeschlagen wird hier, den Sudan einer Vertragspartei gleichzustellen. Dies ergibt sich aus den folgenden Überlegungen.
17 Der Sudan hat das Statut unterzeichnet. In Kraft getreten ist es für ihn bislang nicht. Allerdings ist er gemäß Art. 18 Wiener Vertragsrechtskonvention dazu verpflichtet, sich aller Handlungen zu enthalten, die Ziel und Zweck eines Vertrages vereiteln würden.
18 Durch die Lösung wird Rechtssicherheit erreicht, wenn der Teil 9 (Internationale Zusammenarbeit und Rechtshilfe) des Statuts herangezogen wird. Der Sudan wird zu nicht mehr und zu nicht weniger verpflichtet als ein Staat, der das Statut bereits ratifiziert hat.
19 Auch das IStGH-Statut scheint von dieser Lösung auszugehen. Es erkennt in der Resolution eine „andere geeignete Grundlage“ i.S.d. Art. 87 Abs. 5 lit. a) IStGH-Statut. Für das Verfahren zur Festnahme der bisherigen Verdächtigen im Darfur-Konflikt verweisen die Kammern des IStGH ausdrücklich auf die Regelungen des Statuts.
20 Ausdrücklich ausgenommen von der Kooperationsverpflichtung werden Staaten, die das IStGH-Statut nicht unterzeichnet haben. Sie bleiben unberührt von den Verpflichtungen des Vertrages.
Kosten der Überweisung
21 Die Res. 1593 (2005) stellt fest, dass die Vereinten Nationen nicht die Kosten der Überweisung zu tragen haben. Dies scheint im Widerspruch zu Art. 115 lit. b) IStGH-Statut zu stehen, denn dort ist geregelt, dass die Kosten des Gerichtshofs auch von den Vereinten Nationen bestritten werden, insb. im Falle von Sicherheitsratsüberweisungen.
22 Allerdings steht diese Kostentragung unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Generalversammlung. Damit anerkennt das Statut die Budgethoheit der Generalversammlung nach Art. 17 VNCh. Der Sicherheitsrat hat damit keine Kompetenz, die Vereinten Nationen zu Kosten zu verpflichten.
23 Auch aus der Sicht des Statuts ist diese Regelung der Resolution nicht zu beanstanden. Im Statut sind zwar Regelungen zur Finanzierung getroffen. Diese sind jedoch nicht abschließend. Das zeigt gerade ein Blick in das Relationship Agreement zwischen den VN und dem IStGH von 2004 , das vorsieht, in Zukunft ein Finanzierungsabkommen abzuschließen. Dieses war zum Resolutionszeitpunkt nicht geschlossen (und ist es bis heute nicht).
Ergebnis
24 Die Res. 1593 (2005) ist in allen Teilen rechtmäßig, da sie sich in den Grenzen der VNCh und des IStGH-Statut hält. Sie begründet und eröffnet die Gerichtsbarkeit des IStGH über den Darfurkonflikt im Sudan und schafft so die völkerrechtliche Grundlage für den Eingriff in die sudanesische Souveränität.
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