A recent trip of Omar al-Bashir to an African Union summit in South Africa could have lead to the arrest of the alleged criminal. However, the South African government choose to ignore its obligations under international and national law. In turn, a domestic court bashes the government’s actions. Den Rest des Artikels lesen >
When the ICC-Prosecutor addressed the Security Council last December (here), she commented on the alleged mass rape of more than 200 women in Tabit, Darfur. In her words, “The recent allegations of rape of approximately 200 women and girls in Tabit should shock this Council into action.” Despite her comment , several members of the Security Council denied these accusations.
Last week Human Rights Watch released “Mass Rape in Darfur“, a report which supports the accusations made by the Prosecutor. Nevertheless, the report does not solve anything. Den Rest des Artikels lesen >
In preparation of the trial against Abdallah Banda, the ICC’s Trail Chamber IV recently issued a warrant for arrest. This decision is flawed, as pointed out by the dissenting judge. The Chamber misinterprets art. 58 ICC-Statute. Den Rest des Artikels lesen >
The conflict in Libya 2011 has been closely monitored by an International Commission of Inquiry. As mandated by the United Nations Human Rights Council, the International Commission of Inquiry on Libya presented its report on violations of human rights law in Libya’s civil war. Allthough the report is very thourough, some remarks must be made. This analysis assesses the achievements and flaws of the report. Den Rest des Artikels lesen >
Der Haftbefehl des IStGH gegen den amtierenden Verteidigungsminister des Sudan von März 2012 ist rechtlich vertretbar und darüber hinaus zu begrüßen. Nicht nachvollziehbar ist, warum dieser Haftbefehl erst neun Jahre nach den vorgeworfenen Taten beantragt und ausgestellt wurde, betrafen doch bereits zwei Haftbefehle aus dem Jahr 2007 und ein Haftbefehl aus dem Jahr 2009 gegen andere Beschuldigte denselben Tatkomplex.
Der Beschuldigte und die Vorwürfe
1 Anfang März 2012 hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) gegen den amtierenden Verteidigungsminister des Sudan Haftbefehl erlassen. In einer früheren Funktion war Abdel Raheem Muhammad Hussein Innenminister des Sudan und Sonderbeauftragter des Präsidenten für Darfur. Der Haftbefehl erging aufgrund des Verdachts von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Hussein zu Beginn des Konfliktes in Darfur 2003/2004 begangen haben soll. Damit wächst die Zahl der Beschuldigten in der Darfur-Situation auf sechs, wobei das Verfahren gegen einen Beschuldigten eingestellt wurde und das Verfahren gegen zwei Beschuldigte demnächst beginnen soll.
2 Die Kammer wirft Hussein dreizehn Punkte vor, die er als mittelbarer Täter gemäß Art. 25 Abs. 3 lit. a) IStGH-Statut begangen haben soll. Dazu gehören die Verwirklichung von sieben Verbrechen gegen die Menschlichkeit und sechs Kriegsverbrechen.
3 Genauer handelt es sich um Vorwürfe der vorsätzlichen Tötung (Art. 7 Abs. 1 lit. a] IStGH-Statut), zwangsweisen Überführung der Bevölkerung (Art. 7 Abs. 1 lit. d] IStGH-Statut), des Freiheitsentzuges oder sonstiger schwerwiegender Freiheitsberaubung (Art. 7 Abs. 1 lit. e] IStGH-Statut), der Folter (Art. 7 Abs. 1 lit. f] IStGH-Statut), Vergewaltigung (Art. 7 Abs. 1 lit. g] IStGH-Statut), Verfolgung (Art. 7 Abs. 1 lit. h] IStGH-Statut) und anderer unmenschlicher Handlungen (Art. 7 Abs. 1 lit. k] IStGH-Statut) als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und den Kriegsverbrechen der vorsätzlichen Tötung (Art. 8 Abs. 2 lit. c] num. i] IStGH-Statut), Beeinträchtigung der persönlichen Würde (Art. 8 Abs. 2 lit. c] num. ii] IStGH-Statut), vorsätzlichen Angriffe gegen die Zivilbevölkerung (Art. 8 Abs. 2 lit. e] num. i] IStGH-Statut), Plünderung (Art. 8 Abs. 2 lit. e] num. v] IStGH-Statut), Vergewaltigung (Art. 8 Abs. 2 lit. e] num. vii] IStGH-Statut) und Zerstörung fremden Eigentums (Art. 8 Abs. 2 lit. e] num. xii] IStGH-Statut). Wie aus der Verortung der Verbrechen in Art. 8 Abs. 2 lit. c) und lit. e) IStGH-Statut ersichtlich ist, geht die Kammer nach wie vor davon aus, dass der Konflikt in Darfur 2003/2004 ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts war.
4 Hussein wird vorgeworfen, als Innenminister und Sonderbeauftragter des Präsidenten für Darfur Verbrechen befehligt und koordiniert zu haben. Die Vorwürfe sind teils identisch mit denen, die Ahmed Harun und Ali Kushayb (vgl. R. Frau, Erste konkrete Strafverfahren in der Darfur-Situation – Haftbefehle gegen Ahmed Harun und Ali Kushayb, DarfurSituation.org Analyse Nr. 2, 2010, Rn. 13) und teils identisch mit denen, die Omar al-Bashir vorgeworfen werden (R. Frau, Haftbefehl gegen den Präsidenten des Sudan, Omar al-Bashir, DarfurSituation.org Analyse Nr. 3, 2010). Mit dem Antrag des Anklägers und der Entscheidung der Kammer von 2012 konzentriert sich der IStGH nunmehr auf die Kommandoebene zwischen Ahmed Harun und Omar al-Bashir.
5 Aus rechtlicher Sicht sind daher Fragen des materiellen Rechts weniger interessant als andere Aspekte. Dennoch sollen kurz einige Bemerkungen gemacht werden.
6 Hussein hat eigenhändig weder gemordet, noch vergewaltigt, noch andere Taten begangen. Vorgeworfen wird ihm vielmehr, als Minister den Plan der Zentralregierung ausgeführt und koordiniert zu haben; die Kammer spricht insoweit von „command and control“. Sie verweist auf ihre Entscheidung in dem Verfahren gegen al-Bashir von 2009, in dem festgestellt wurde, dass hochrangige sudanesische Politiker und Militärs den sudanesischen Staatsapparat genutzt haben, um ihren verbrecherischen Plan umzusetzen. Hussein sei nicht nur ein einflussreiches Mitglied des innern Kerns gewesen (Rn. 23 der hier besprochenen Entscheidung), er sei, so ein Zeuge der Anklage, ein Architekt der Antwort auf die Aufstände in Darfur gewesen (Antrag des Anklägers, Rn. 36). Darüber hinaus habe er durch Dekrete die Polizei in Darfur gesteuert, unmittelbar in der Rekrutierung neuer Militär- und Polizeikräfte mitgewirkt und war verantwortlich für die Organisation und das Training der Popular Defence Forces und der Janjaweed. In seiner Verantwortlichkeit als Polizeiführer habe er eine gezielte Politik der Nichteinmischung verfolgt, wenn es zu Straftaten von Seiten der regierungstreuen Milizen gekommen ist. Omar al-Bashir habe dabei seine Befehlsgewalt an Hussein delegiert, die dieser wiederrum an Harun delegiert habe (Rn. 31).
7 Die Kammer gibt sich große Mühe, den Vorsatz von Hussein nachzuweisen. Sie betont, dass er in seiner Position durchaus in der Lage war, die Folgen seines Handelns abzusehen. Mehr noch, er wusste genau, was sich in Darfur abspielte, akzeptierte die Vorkommnisse und unternahm nichts, um sie in Zukunft zu unterbinden.
Immunität, Komplementarität und der Grund für den Haftbefehl
8 Interessanter sind andere Aspekte, die von der Kammer bloß gestreift werden. Nur kurz behauptet die Kammer, dass weder die derzeitige Position von Hussein als Verteidigungsminister noch die früheren Funktionen als Innenminister und Sonderbeauftragter des Präsidenten für Darfur die Strafverfolgung verhinderten. Die Kammer verweist dabei auf Art. 27 IStGH-Statut. Doch irrt die Kammer hier, denn diese vertragsrechtliche Ausnahme gilt für den Sudan als Nichtvertragspartei gerade nicht. Im Falle einer Sicherheitsratsüberweisung wird diese Immunität allerdings wegen der insoweit vorgehenden Verbindlichkeit der Überweisungsresolution völkerrechtsgemäß aufgehoben.
9 Nur oberflächlich äußert sich die Kammer zu der Frage der Komplementarität (anders als noch der Ankläger, vgl. Rn. 86 ff. seines Antrages). Demnach kann der IStGH seine Gerichtsbarkeit nur ausüben, wenn nationale Strafverfolgungsmaßnahmen nicht stattfinden oder nicht erfolgversprechend sind, Art. 17 IStGH-Statut. Dass die derzeitigen sudanesischen Strafverfolgungs-maßnahmen generell nicht geeignet sind, den IStGH an der Strafverfolgung zu hindern, wurde bereits dargelegt (R. Frau, Erste konkrete Strafverfahren in der Darfur-Situation – Haftbefehle gegen Ahmed Harun und Ali Kushayb, DarfurSituation.org Analyse Nr. 2, 2010, Rn. 18 ff.). Auch ist nicht ersichtlich, dass konkret gegen den Beschuldigten Hussein ermittelt wird. Damit ist die Strafverfolgung durch den IStGH zulässig. Es wäre zu begrüßen gewesen, wenn die Kammer es nicht bloß abgelehnt hätte, auf Fragen der Komplementarität einzugehen, sondern diese inhaltlich beantwortet hätte.
10 Die Kammer betont, dass der Haftbefehl erforderlich sei, um das Erscheinen von Hussein in Den Haag sicherzustellen. Aufgrund seiner herausgehobenen Position werde er nicht freiwillig vor dem IStGH erscheinen. Dabei verweist die Kammer auf die schlechten Erfahrungen, die der IStGH mit den bisherigen sudanesischen Funktionsträgern gemacht hat. Deren Verhalten kann Hussein aber nicht angelastet werden. Zu Recht geht die Kammer in der Folge davon aus, dass die sudanesische Regierung, die immerhin von einem gesuchten Beschuldigten geführt wird, sich bislang jeder Kooperation verweigert hat. Dieses Verhalten dürfte sich bei einem Haftbefehl gegen ein Mitglied des innersten Führungszirkels nicht ändern.
11 Der Ankläger hat den Haftbefehl auch aus Abschreckungsgründen beantragt. Ein Haftbefehl kann nach Art. 59 Abs. 1 lit. b) num. iii) IStGH-Statut auch ergehen, um den Beschuldigten an der weiteren Begehung dieses Verbrechens oder eines damit im Zusammenhang stehenden Verbrechens zu hindern, das sich aus den gleichen Umständen ergibt. Allerdings lehnt die Kammer ab, den Haftbefehl auch aus dieser präventiven Dimension heraus zu erlassen, und dies zu Recht. Denn der Ankläger behauptet kurz in einem Satz, dass Hussein noch immer Verbrechen befehlt oder koordiniert (Antrag, Rn. 91). Dennoch: Der Abschreckungseffekt könnte für Hussein in einem anderen Konflikt eine Rolle spielen.
Der Konflikt mit dem Südsudan
12 Im Konflikt des Sudan mit dem Südsudan hat Hussein bereits martialische Äußerungen von sich gegeben hat. Er habe, so Presseberichte, angekündigt, mit aller Härte gegen den Südsudan vorzugehen. Seit der Trennung des Südsudan vom Sudan 2011 streiten sich beide Staaten über ölreiche Grenzregionen. Im März und April 2012 kam es dabei zum Einsatz von Waffengewalt in der Region um Heglig, einer kleinen Stadt im sudanesischen Bundesstaat Süd-Kordofan. Dabei ist umstritten ob der Südsudan mit seinen Streitkräften offensiv gegen den Sudan vorgegangen ist (so die Angaben des Sudan) oder ob der militärische Vorstoß in Selbstverteidigung des Südsudan gegen eine vorhergehende Militäroperation des Sudan auf südsudanesischem Territorium erfolgt ist (so die südsudanesische Begründung).
13 Hussein soll angekündigt haben, die Aggressoren „mit allen Mitteln“ zurückzuschlagen. Ahmed Harun, der heute Gouverneur des Bundesstaates Süd-Kordofan ist, soll nach Angaben von Al Jazeera sudanesische Soldaten dazu aufgerufen haben, keine Gefangenen zu machen. Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, wovon der Chefankläger des IStGH in einer Pressemitteilung ausging, dann könnte Haruns Aufruf ein Kriegsverbrechen nach Art. 8 Abs. 2 lit. e) num. x) IStGH-Statut darstellen.
14 Es steht zu befürchten, dass sich das Muster aus Darfur wiederholt: Auf höchster Ebene entscheiden Omar al-Bashir und sein Stab, zu dem auch der Minister Hussein gehört, über die Strategie gegen den Gegner. Dazu gehört, Kriegsverbrechen und in Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen. Ausgeführt wird der Plan dann von Soldaten oder Milizen vor Ort, die vom regionalen Befehlshaber Ahmed Harun befehligt werden. Dies ist freilich für den Konflikt mit dem Südsudan nicht bewiesen. Sollte es sich aber bewahrheiten, dann zeigt dies deutlich den Abschreckungseffekt auf, den Haftbefehle des IStGH haben, insb. wenn sie jahrelang nicht vollstreckt und von der Staatengemeinschaft nicht mit dem erforderlichen Ernst betrieben werden.
Zur Kooperationspflicht der Staaten
15 Daher ist im Fall gegen Hussein zu begrüßen, dass die Kammer deutlich zur Kooperation auffordert. In drei Beschlüssen von Mitte März wendet sie sich an die internationale Gemeinschaft, differenziert dabei zwischen den verschiedenen Adressaten und erinnert diese an ihre jeweiligen Mitwirkungspflichten.
16 Die Kammer fordert den Sudan ausdrücklich dazu auf, mit dem IStGH zu kooperieren und Hussein festzunehmen und an den IStGH zu überstellen. Als Nichtvertragspartei gilt, dass der Sudan nur durch die Überweisungsresolution Res. 1593 (2005) zur Zusammenarbeit verpflichtet ist, und zwar im gleichen Ausmaß wie eine Vertragspartei des Statuts.
17 Ebenso werden die Mitgliedststaaten des IStGH aufgefordert, Hussein festzunehmen und an den IStGH zu überstellen. Dabei scheint die Kammer nicht einmal die Möglichkeit zuzulassen, dass Staaten selbst Strafverfolgungsmaßnahmen gegen den Beschuldigten durchführen. Dies ist verwunderlich, sind nach dem Grundsatz der Komplementarität doch primär die Staaten und erst sekundär der IStGH zur Strafverfolgung zuständig. Der Kammer ist aber zuzugestehen, dass kein Staaten ersichtlich ist, der Gerichtsbarkeit über die Taten hat.
18 In einem dritten Aufruf wendet sich die Kammer an Mitglieder des Sicherheitsrates, die nicht Vertragsparteien des IStGH-Statuts sind. Hier ist die Sprache schon diplomatischer. Anstatt die Staaten aufzufordern, Hussein festzunehmen und zu überstellen, werden diese Staaten lediglich dazu eingeladen. Das ist richtig, hat der IStGH doch keine Kompetenz gegenüber Nichtvertragsparteien, die nicht zur Kooperation verpflichtet sind. Bedauerlichweise erinnert die Kammer den Sicherheitsrat lediglich daran, dass er selber den Sudan zur Kooperation verpflichtet hat; die Kammer bittet den Sicherheitsrat dagegen nicht um Mithilfe bei der Vollstreckung – eine verpasste Chance.
Ergebnis
19 Die Entscheidung der Kammer ist aus einer rechtlichen Perspektive zu begrüßen. Es verwundert aber, warum der Haftbefehl erst jetzt, neun Jahre nach den vorgeworfenen Taten, beantragt und ausgestellt wird. Dabei darf zwar nicht vergessen werden, dass der Nachweis über die Taten eines Schreibtischtäters für die Anklagebehörde schwer zu führen gewesen sein muss. Warum war es aber einfacher, sowohl für die niedrige als auch für die höhere Kommandoebene Haftbefehle zu beantragen? Dies erschließt sich aus den veröffentlichten Dokumenten nicht.
20 Es bleibt zu hoffen, dass der Haftbefehl auch durchgesetzt wird. Andernfalls verliert der IStGH immer mehr an Autorität und Glaubwürdigkeit. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen in den Fällen Harun und al-Bashir steht aber zu befürchten, dass auch dieser Haftbefehl von allen Verantwortlichen ignoriert wird.
Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag hat dem Wunsch des Sicherheitsrates entsprochen und seinen ersten Bericht in der Libyen-Situation vorgelegt. Darin hat er seine Ermittlungstätigkeit näher beschrieben und angekündigt, den Erlass von drei Haftbefehlen zu beantragen.
Grundlage des Berichts
1 Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) existiert und arbeitet unabhängig von den Vereinten Nationen (VN). Als selbstständiges Völkerrechtssubjekt ist er nicht an die Beschlüsse andere Organisationen gebunden. Dies gilt selbst für Sicherheitsratsresolutionen nach Kapitel VII der VN-Charta (VNCh). Auch diese können den IStGH nur dann binden, wenn das IStGH-Statut dies vorsieht.
2 An keiner Stelle sieht das Statut eine Berichtspflicht des Anklägers gegenüber dem Sicherheitsrat vor. Daher fordert der Sicherheitsrat den Ankläger auch nicht auf, sondern « lädt ihn ein » (Res. 1970 [2011]) , regelmäßig Bericht zu erstatten. Diese Einladung nimmt der Ankläger an und berichtet dem Sicherheitsrat in seinem ersten Bericht von Mai 2011 über die ersten zwei Monate der Ermittlungen.
Die Lage in Libyen als Situation im Sinne des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut: Die Probleme der Komplementarität und Verbrechensschwere
3 Der Ankläger betont, dass die Kriterien der Jurisdiktion, Komplementarität und Schwere der Vorwürfe erfüllt seien und damit die Ermittlung durch den IStGH auslösen (zur Jurisdiktion s. R. Frau, Sicherheitsratsresolution 1970 [2011] – Rechtsgrundlage für Ermittlungen in Libyen, DarfurSituation.org Analyse Nr. 9, 2011).
4 Komplementarität: Der IStGH darf nur tätig werden, wenn innerstaatliche Strafverfolgung nicht erfolgt oder nicht erfolgversprechend ist, Art. 17 IStGH-Statut. Die angeblichen libyschen Strafverfolgungsmaßnahmen durch eine nationale Kommission finden nach den Erkenntnissen des Anklägers nicht statt.
5 Damit existiert keine Strafverfolgung, die den IStGH an der Ausübung seiner Gerichtsbarkeit hindert.
6 Zur Schwere der Verbrechen stellt der Ankläger fest, dass allein die Überweisung durch den Sicherheitsrat eine solche Schwere nahelege. Das erscheint wie ein Taschenspielertrick, ist aber durchaus berechtigt. Der Sicherheitsrat ist nicht als Organ bekannt, das vorschnell handelt und „leichtere“ Konflikte mit Maßnahmen nach Kapitel VII VNCh behandelt. Die vielgescholtene politische Zusammensetzung des Sicherheitsrates sorgt hier für eine Vorauswahl nur der schwersten Situationen.
7 Anhaltspunkte findet der Ankläger weiterhin in der Anzahl der getöteten Personen. Der Ankläger hält die Zahl von 500 bis 700 getöteten Personen für realistisch, während der Nationale Übergangsrat, die bekannteste Organisation der Rebellen, von mehr als 10.000 Toten spricht und die libysche Regierung von nicht mehr als 200 Toten ausgeht.
Verbrechen gegen die Menschlichkeit
8 Diese Unsicherheiten bezüglich der Tatsachenlage stellen ein Problem bei der Ahndung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar. Dies bedarf einer genaueren Erläuterung.
9 Leitgedanke der Sicherheitsratsüberweisung war es, die in Libyen stattfindenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafrechtlich zu ahnden (vgl. Erwägungsgrund 6 der Präambel Res. 1970 [2011]). Der Ankläger hält den Verdacht auf diese Verbrechen für begründet, insb. Vorwürfe wegen vorsätzlicher Tötung (Art. 7 Abs. 1 lit. a] IStGH-Statut), Freiheitsentzug (Art. 7 Abs. 1 lit. e] IStGH-Statut), Folter (Art. 7 Abs. 1 lit. f] IStGH-Statut) und Verfolgung einer identifizierbaren Gruppe oder Gemeinschaft (Art. 7 Abs. 1 lit. h] IStGH-Statut).
10 Der Ankläger betont, dass er für jeden Vorfall mindestens zwei Augenzeugen habe, deren Zeugnis durch Dokumente oder Foto- und Filmbeweise gestützt werde.
11 Problematisch ist aber nicht so sehr die Frage, ob wirklich Menschen getötet wurden, sondern ein rechtlicher Aspekt. Das Statut bestimmt, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit nur dann vorliegen, wenn eine Handlung im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des Angriffs begangen wurde (Chapeau des Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut).
12 In der Kenia-Situation, die eine ähnliche, weil plötzliche, Gewalteskalation zwischen Regierung und Protestierenden zum Gegenstand hat, kann der Richter Hans-Peter Kaul einen solchen ausgedehnten oder systematischen Angriff nicht erkennen.
13 In seinem Bericht in der Libyen-Situation legt der Ankläger daher Wert darauf, dass sich alle Vorfälle ähnelten und so für einen systematischen Angriff sprechen würden. Allerdings bleibt dies doch noch etwas im Vagen, da der Ankläger zumindest in dem Bericht weitere Anhaltspunkte für eine Systematik schuldig bleibt.
Die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts
14 Der Ankläger geht von der Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts aus. Dies ist nur der Fall, wenn ein internationaler oder ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt vorliegt.
15 Seit geraumer Zeit liegt ein nicht-internationalen bewaffneten Konflikt zwischen der libyschen Regierung und den Rebellen vor.
16 Der Ankläger geht in seinem Bericht davon aus, dass dieser nicht-internationale bewaffnete Konflikt seit Ende Februar 2011 vorliegt. Leider konkretisiert er den Beginn nicht – weder knüpft er an einen genauen Zeitpunkt noch an ein Ereignis an. Ihm ist allerdings zuzustimmen, dass gegen Ende Februar von einem solchen Konflikt ausgegangen werden muss (vgl. R. Frau, Sicherheitsratsresolution 1970 [2011] – Rechtsgrundlage für Ermittlungen in Libyen, DarfurSituation.org Analyse Nr. 9, 2011, Rn. 10 ff.).
17 Etwas verwunderlich sind einige Stellungnahmen des Anklägers zu diesem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt. So spricht der Ankläger häufiger von der Tötung von Kombatanten und angeblichen Kriegsgefangenen. Das Recht des nicht-internationalen bewaffneten Konflikts kennt beide Kategorien jedoch nicht. Die Anklagebehörde muss daher in Zukunft etwas sorgfältiger mit den Begrifflichkeiten umgehen.
18 Parallel zu diesem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt liegt ein internationaler bewaffneter Konflikt zwischen der libyschen Regierung und den Staaten, die von der Ermächtigung der Res. 1973 (2011) Gebrauch machen, vor.
Mögliche Kriegsverbrechen…
19 In beiden Konflikten können Kriegsverbrechen begangen werden; dies hält der Ankläger nunmehr ausdrücklich für möglich, nachdem er zu Beginn der Ermittlungen dies noch nicht in Betracht gezogen hatte. Die Entscheidung des Anklägers ist in dieser Hinsicht zu begrüßen.
20 Der Ankläger identifiziert hier allerdings nur Kriegsverbrechen in einem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt. Von einem Verdacht auf Kriegsverbrechen in dem internationalen bewaffneten Konflikt spricht er nicht. Dies liegt schlicht daran, dass die Verbrechen eben in dem Bürgerkrieg begangen werden und es keine Anhaltspunkte für Verbrechen in dem internationalen bewaffneten Konflikt zwischen Libyen und der Staatengemeinschaft gibt – gleichgültig, ob von Seiten Libyens oder von Seiten der Staatengemeinschaft.
…und deren Spannungsverhältnis zu der Gerichtsbarkeitsausnahme
21 Allerdings wird die Gerichtsbarkeitsausnahme, die durch Res. 1970 (2011) geschaffen wurde, zu den Kriegsverbrechen im internationalen bewaffneten Konflikt in einem Spannungsverhältnis stehen.
22 In Abs. 6 Res. 1970 (2011) nimmt der Sicherheitsrat Angehörige von Staaten, die nicht Vertragspartei des IStGH-Statuts sind, von der Gerichtsbarkeit des IStGH aus. Dieser Ausschluss ist völkerrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. R. Frau, Sicherheitsratsresolution 1970 [2011] – Rechtsgrundlage für Ermittlungen in Libyen, DarfurSituation.org Analyse Nr. 9, 2011, Rn. 9). In der Diskussion über den Bericht haben etliche Sicherheitsratsmitglieder erneut betont, wie wichtig ihnen diese Gerichtsbarkeitausnahme ist. Diese Ausnahme reicht dem Wortlaut nach aber nur soweit, wie der Sicherheitsrat zu Maßnahmen in Libyen ermächtigt. Allerdings hat der Sicherheitsrat den Staaten mit Res. 1973 (2011) einen sehr weitreichenden Handlungsspielraum zugestanden.
23 Warum steht diese Ausnahme nun in einem Spannungsverhältnis zu den Kriegsverbrechen?
In Libyen liegt ein internationaler bewaffneter Konflikt vor. In diesem können nicht nur libysche Soldaten, sondern auch Angehörige der ausländischen Streitkräfte Verbrechen begehen. Durch die Ausnahme ist der IStGH aber u. U. daran gehindert (oder genauer: erst gar nicht dazu befugt) diese Handlungen einer strafrechtlichen Prüfung zu unterziehen.
Damit entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen libyschen Streitkräften und Angehörigen der Streikträfte einer IStGH-Vertragspartei einerseits und Drittstaatsangehörigen andererseits.
24 Es ist völkerrechtlich zulässig, die Gerichtsbarkeit des IStGH am Kriterium der Staatsangehörigkeit festzumachen; die Gerichtsbarkeit also zu eröffnen oder eben auszuschließen.
25 Der IStGH hat grundsätzlich keine Rechtsmacht über Drittstaatsangehörige. Erst die Kapitel-VII-Resolution des Sicherheitsrates begründet die völkerrechtliche Kompetenz, Drittstaatsangehörige auf dem Territorium eines Drittstaates strafrechtlich zu verfolgen. Der Sicherheitsrat hat bei der Auswahl seiner Maßnahmen, hier der Überweisung an den IStGH, einen sehr weiten Ermessenspielraum, den er im Falle Libyens einwandfrei genutzt hat.
26 Das Spannungsverhältnis erweist sich damit als rein politisch. Dennoch ist es nicht ohne Auswirkung auf die Arbeit des IStGH. Es steht zu befürchten, dass die Einstellung bzw. Nichtaufnahme eines Verfahrens gegen bspw. US-amerikanische Bomberpiloten erneut Diskussionen über die Legitimität des IStGH hervorrufen wird. Die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des IStGH werden in einem solchen Fall durch eine breite Öffentlichkeit wohl angezweifelt werden – auch wenn der IStGH in diesem Fall rechtlich gar nicht hätte anders handeln dürfen.
Die möglichen Verdächtigen
27 Der Ankläger spricht davon, nur die Hauptverantwortlichen zur Rechenschaft ziehen zu wollen, auch wenn er die derzeitig Verdächtigen namentlich nicht genannt hat. Zu dem Kreis der Hauptverantwortlichen gehörten vor allem die Personen, die die identifizierten Vorkommnisse angeordnet, dazu angestiftet, diese finanziert oder geplant haben. Ob der Ankläger auch einen Haftbefehl gegen Muammar al-Gaddafi beantragen wird, bleibt abzuwarten.
28 Der Ankläger geht allerdings nicht davon aus, dass nur die regulären libyschen Streitkräfte und die Regierung Verbrechen begangen haben – auch auf Seiten der Rebellen sei es bereits zu Verbrechen gekommen. Er verweist auf das Lynchen einiger „sub-saharischer Afrikaner“, die angeblich Söldner des Gaddafi-Regimes gewesen seien, durch einen Mob. Zwar ist selbstverständlich, dass der Ankläger allen Vorwürfen nachgeht. Doch sei es hier besonders betont, verdeutlicht dies doch die Unabhängigkeit der Untersuchungen von politischen Motiven. Es ist daher zu begrüßen.
29 Unwahrscheinlich ist es, dass Staatsangehörige fremder Staaten Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen, dazu fehlt es wohl an einem ausgedehnten oder systematischen Angriff auf die Zivilbevölkerung. Die Frage nach Kriegsverbechen durch ausländische Staatsangehörige bleibt dahingestellt.
Das zukünftige Vorgehen
30 Der Ankläger wird demnächst Haftbefehle beantragen. Die Entscheidung darüber obliegt der Vorverfahrenskammer I. Der Ankläger zeigt sich zuversichtlich, dass diese auch ausgestellt werden und stellt in Aussicht, weitere Verfahren zu eröffnen.
Kooperationspflichten
31 Die Regierung Libyens ist verpflichtet, die Durchsetzung der Haftbefehle sicherzustellen. Sollten die Haftbefehle gegen Mitglieder der Regierung erlassen werden, so darf damit allerdings nicht gerechnet werden.
32 Die Rebellen in Libyen haben laut Aussagen des Anklägers bereits angekündigt, mit dem IStGH zu kooperieren und etwaige Haftbefehle zu vollstrecken. Abgesehen davon, ob die Rebellen tatsächlich in der Lage sind, Verhaftungen vorzunehmen und die verhafteten Personen an den IStGH zu überstellen, und ob dies rechtlich zulässig wäre, muss wohl bezweifelt werden, dass eigene Mitkämpfer ausgeliefert werden.
33 Der Ankläger gibt zu verstehen, dass die Pflicht, den Haftbefehlen Folge zu leisten, sich nicht auf Libyen beschränkt: Res. 1970 (2011) verpflichtet die Vertragsparteien des IStGH-Statuts dazu, mit dem IStGH zu kooperieren, also die Haftbefehle durchzusetzen. Damit spielt der Ankläger auf die mangelden Kooperation einiger afrikanischer Vertragsparteien an – bis heute reist Omar al-Bashir, der mit Haftbefehl gesuchte Präsident des Sudan, unbehelligt in zahlreiche Staaten, die das IStGH-Statut ratifiziert haben. Damit brechen diese Staaten ihre vertraglichen Verpflichtungen (vgl. R. Frau, Der Sudan verweigert die Zusammenarbeit im Fall Harun / Ali Kushayb, DarfurSituation.org Analyse Nr. 6, 2010; R. Frau, Trotz Haftbefehls: Omar al-Bashir auf Staatsbesuch – Zur Kooperationspflicht einiger Staaten, DarfurSituation.org Analyse Nr.7, 2010).
Ergebnis
34 Der Bericht des Anklägers ist zu begrüßen. Vor allem die Tatsache, dass der Ankläger sich nicht mehr nur auf den Vorwurf von Verbrechen gegen die Menschlichkeit konzentriert, sondern auch Kriegsverbrechen in Betracht zieht, spricht für eine umfassende Untersuchung durch den Ankläger. Allerdings bedarf es dort eines besseren und „saubereren“ Vorgehens. Zu begrüßen ist, dass der Ankläger schnell arbeitet und bereits erste Haftbefehle beantragen wird.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat die Situation in Libyen 2011 an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag überwiesen. Der Sicherheitsrat orientiert sich an der Überweisungsresolution im Falle Darfurs. Die Überweisungsresolution für die Situation in Libyen wirft einige neue Rechtsfragen auf. Im Ergebnis ist die Resolution 1970 (2011) dennoch rechtmäßig. Nunmehr ist der IStGH zur strafrechtlichen Aufarbeitung der Proteste in Libyen zuständig.
Die Lage in Libyen: Gefahr für den Weltfrieden oder rein innerstaatliche Angelegenheit?
1 Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen kann eine Überweisungsresolution an den IStGH nur im Rahmen des siebten Kapitels der Charta der Vereinten Nationen (VNCh) beschliessen. Erforderlich für ein solches Handeln ist, dass eine Gefährdung oder ein Bruch des Weltfriedens oder eine Angriffshandlung festgestellt wird, Art. 39 VNCh. Die Bewertung der Tatsachen, also die Frage, ob eine Gefährdung des Weltfriedens vorliegt, obliegt allein dem Sicherheitsrat, er hat einen weitreichenden Beurteilungsspielraum. Regelmäßig geschieht dies durch die Formulierung „determining that the situation in X constitutes a threat to international peace and security“. Problematisch ist, dass der Sicherheitsrat in Resolution 1970 (2011) eine solche ausdrückliche Feststellung nicht trifft.
2 In der Wissenschaft wird verschiedentlich eine Pflicht zur ausdrücklichen Feststellung gefordert. Begründet wird dies damit, dass Art. 39 VNCh eine solche Verpflichtung wohl vorsehe und das es Sinn und Zweck einer solchen Feststellung sei, den Staaten deutlich aufzuzeigen, dass es sich um eine Resolution nach Kapitel VII VNCh handelt, die zu befolgen ist.
3 Eine Wortlautauslegung der verschiedenen Sprachfassungen der Charta, wie sie nach Art. 111 Satz 1 VNCh und Art. 33 Abs. 1 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge von 1969 (WÜV) erforderlich ist, beantwortet die Frage einer Pflicht zur ausdrücklichen Feststellung nicht.
4 Eine teleologische Auslegung führt aber zu einem Ergebnis. Sinn und Zweck der Charta und insb. Art. 39 VNCh ist es nämlich, dass sich der Sicherheitsrat bewusst wird, im Rahmen von Kapitel VII VNCh zu handeln, dies den Staaten deutlich gemacht wird, damit diese um ihre Verpflichtung nach Art. 25 VNCh wissen und ein effektives Handeln des Sicherheitsrates zu ermöglichen.
5 Allerdings werden diese Ziele nicht nur durch eine ausdrückliche Feststellung erreicht – immerhin besteht Einigkeit, das auch kein ausdrücklicher Verweis auf Art. 39 VNCh erforderlich ist -, sondern auch dadurch, dass der Sicherheitsrat ausdrücklich erwähnt, dass er unter Kapitel VII VNCh tätig wird. In der Praxis betont der Sicherheitsrat: „Acting under Chapter VII of the Charter of the United Nations.“ In Res. 1970 (2011) fehlt zwar die Feststellung, dass eine Gefährdung des Weltfriedens vorliegt, die Feststellung, dass es sich um eine Maßnahme nach Kapitel VII VNCh handelt, wird aber getroffen.
6 Diese Feststellung allein ist nicht ausreichend. Vielmehr ist mit Andreas Zimmermann zu fordern, dass in einem solchen Fall objektiv eine Lage vorliegt, die als Gefährdung des Weltfriedens angesehen werden kann. Andernfalls wären die Voraussetzungen, die Art. 39 VNCh erfordert, nämlich dass eine solche Gefahr vorliegt, überflüssig.
7 Die Lage in Libyen stellt eine Gefährdung des Weltfriedens dar.
(a) Tausende Libyer fliehen in die Nachbarstaaten. Solche Flüchtlingsströme gelten als das klassische Beispiel von spill-over-Effekten, die aus einem rein internen Konflikt eine Gefahr für die internationale Gemeinschaft machen.
(b) In Libyen finden schwere Menschenrechtsverletzungen und wohl auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit statt. Diese sind nach dem Völkerrecht verboten. Damit ist die domaine réservé Libyens nicht berührt, es handelt sich gerade nicht um eine rein innerstaatliche Angelegenheit ohne Berührung des Völkerrechts.
Sowohl auf die Flüchtlingsströme als auch auf die schweren Menschenrechtsverletzungen nimmt der Sicherheitsrat ausdrücklich Bezug; in allen bisherigen Libyen-Resolutionen des Jahres 2011 äußert er seine Besorgnis über die Vorfälle.
(c) Die Lage in Libyen ist ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt, m. a. W. ein Bürgerkrieg (Rn. 10 ff.). In solchen nicht-internationalen bewaffneten Konflikten gilt das humanitäre Völkerrecht. Auch damit handelt sich nicht mehr um eine rein innerstaatliche Angelegenheit ohne Berührung des Völkerrechts. Da spill-over-Effekte vorliegen, kann dahingestellt bleiben, ob das bloße Vorliegen eine völkerrechtlich geregelten Lage (des Bürgerkrieges) eine Friedensbedrohung darstellt.
(d) Derzeit finden in zahlreichen Staaten der Region Proteste statt. Der Jahresbeginn 2011 ist geprägt von teilweise gewalttätigen Demonstrationen der Bevölkerungen gegen ihre Regierungen und politischen Systeme. Unabhängig davon, ob die Demonstranten demokratische Reformen anstreben oder wie groß der Anteil der Bevölkerung an den Demonstranten ist, kann die Protestwelle in mehreren Staaten nicht ignoriert werden. Der Sicherheitsrat kann sich damit auf die politische Großwetterlage berufen, um ein erfolgreiches Vorbild Gaddafi zu verhindern.
8 Damit sind die Handlungsvoraussetzungen aus Art. 39 VNCh erfüllt, der Sicherheitsrat hat die Situation in Libyen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise an den IStGH überweisen.
Einschränkung der Gerichtsbarkeit ratione personae
9 Wie schon in der Überweisung der Darfur-Situation an den IStGH nimmt der Sicherheitsrat bestimmte Personen von der Gerichtsbarkeit des IStGH aus. Es handelt sich vor allem um Angehörigen von Staaten, die nicht Vertragspartei des IStGH-Statuts sind. Da der IStGH aber nur aufgrund einer Resolution des Sicherheitsrat über Taten in Libyen, einer Nichtvertragspartei, tätig werden darf, und der Sicherheitsrat nur wenigen Beschränkungen in seiner Maßnahmenauswahl unterliegt, ist die Gerichtsbarkeitsausnahme rechtlich zulässig (vgl. R. Frau, Sicherheitsratsresolution 1593 [2005] – Wirksame völkerrechtliche Grundlage für Maßnahmen des IStGH im Darfur-Konflikt, DarfurSituation.org Analyse Nr. 1, 2010, Rn. 9 ff.).
Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts
10 Der Sicherheitsrat erinnert die libysche Regierung daran, dass sie ihren Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht nachkommen muss. Er geht damit von einer Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts in Libyen aus. Anwendbar ist das humanitäre Völkerrecht nur in bewaffneten Konflikten.
11 Ob ein solcher vorliegt, ist nicht ohne weiteres auszumachen. Der Konflikt zwischen der libyschen Regierung und den Rebellen könnte ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt sein. Was genau darunter zu verstehen ist, ist fraglich: Die verschiedenen vertragsrechtlichen Definitionen unterscheiden sich, ebenso wie die gewohnheitsrechtlichen Maßstäbe. Das Zweite Zusatzprotokoll der Genfer Abkommen, dessen Vertragspartei Libyen ist, ist nach dem restriktiven Art. 1 Abs. 1 anwendbar in allen bewaffneten Konflikten „die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ Auf „Fälle innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulte vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen“ findet das Protokoll gemäß Art. 1 Abs. 2 keine Anwendung.
12 Die Schwelle zum nicht-internationalen bewaffneten Konflikt ist in jedem Fall dann überschritten, wenn die Aufständischen Teile des Staatsgebietes kontrollieren und Gewalt einer bestimmten Intensität eingesetzt wird.
13 Der Beginn der Proteste muss daher als Fall innerer Unruhe angesehen werden. Dies hat sich erst durch die zunehmende Gewalt geändert. Aufgrund der unklaren Tatsachenlage ist es an dieser Stelle allerdings unmöglich, einen genauen Beginn zu bestimmen. Der Beginn der Aufstände, ohne Gewalt von Seiten der Rebellen, ist nicht der Beginn des internen Konflikts. Auch die Gründung des Nationalen Übergangsrates ist nur als rein symbolische Handlung zu sehen. Sinnvoll und vertretbar hingegen ist es, den Bürgerkrieg mit der ersten Einnahme einer Stadt durch die Rebellen beginnen zu lassen, nämlich Brega am 25. Februar 2011. Zu diesem Zeitpunkt setzen die Rebellen erhöhte Gewalt ein und kontrollieren einen Teil des Staatsgebietes. Dieses spricht auch für eine Organisation der Rebellen, selbst wenn diese nur rudimentär sein sollte.
14 Der Sicherheitsrat hat mit Res. 1973 (2011) die Staaten dazu ermächtigt, militärische Gewalt gegen Libyen einzusetzen. Die Staaten fliegen Luftangriffe, somit wird zwischen zwei Völkerrechtssubjekten Gewalt einer gewissen Intensität eingesetzt: dies zieht einen internationalen bewaffneten Konflikt nach sich.
15 Beide Konflikte finden parallel statt. Es kann zu einer Verschmelzung zu einem einzigen internationalen bewaffneten Konflikt kommen, wenn die Staaten auf Seiten der Rebellen, also als deren Ersatzluftstreitmacht, in den internen Konflikt eingreifen.
Begehung von Kriegsverbrechen und strafrechtlicher Maßstab
16 Sowohl in einem nicht-internationalen als auch in einem internationalen bewaffneten Konflikt können Kriegsverbrechen begangen werden. Dies übersieht der Sicherheitsrat, wenn er seiner Sorge über mögliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit Ausdruck verleiht und nicht auf mögliche Kriegsverbrechen eingeht.
17 Für den Zeitraum vom 15.2. (Beginn des Überweisungszeitraums) bis zum 26.2.2011 (Erlass der Überweisungsresolution) ist Maßstab für die strafrechtliche Bewertung allein die jeweils gewohnheitsrechtliche Ausprägung. Denn zöge man den Katalog von Kriegsverbrechen in Artikel 8 Absatz 2 IStGH-Statut heran, dann verstieße dies gegen den Grundsatz des nullum crimen sine lege aus Art. 22 f. IStGH-Statut. Libysche Staatsangehörige mussten ihr Verhalten vor der Überweisungsresolution nicht an dem IStGH-Statut, sondern am Gewohnheitsrecht ausrichten, an diesem Maßstab müssen sie sich daher im Nachhinein messen lassen.
18 Dies mag politisch unerwünscht sein, rechtlich ergeben sich jedoch keine Strafbarkeitslücken. Denn auch das Gewohnheitsrecht sieht Straftatbestände für Kriegsverbrechen vor, unabhängig ob es sich um einen internationalen oder nicht-internationalen Konflikt handelt. Der gewohnheitsrechtliche Maßstab dürfte flexibler sein, da er einen weit gefassten Tatbestand vorsieht, anders als der ausführliche – und damit beschränkte – Katalog des Art. 8 Abs. 2 IStGH-Statut.
19 Der Zeitraum seit der Sicherheitsratsüberweisung, also seit dem 26.2.2011 ist dagegen anders zu beurteilen. Nimmt man eine Legislativkompetenz des Sicherheitsrat an, die sich auch auf die Schaffung von völkerstrafrechtlichen Tatbeständen bezöge, dann hat der Sicherheitsrat durch die Überweisung auf das Statut verwiesen und damit den Straftatenkatalog erweitert. Für den Zeitraum zwischen dem 15. Februar 2011 und dem 26. Februar 2011 bleibt es auch nach dieser Auffassung beim Gewohnheitsrecht, denn sowohl der Sicherheitsrat als auch die Organe des IStGH sind an das Rückwirkungsverbot gebunden.
Immunitäten
20 Völkerstrafrechtliche Strafverfolgung setzt auf der Makroebene, den Regierungschefs und ihrem Umfeld, an. Beliebte Verteidigungstrategie der Verdächtigen ist es, sich auf Immunitäten zu berufen. Solche Immunitäten sind nach Art. 27 Abs. 1 IStGH-Statut allerdings nicht zu berücksichtigen. Aber dieser vertragsrechtliche Ausschluss gilt gerade nicht für die Nichtvertragspartei Libyen. Auch hier gelten, analog zur Begründung des strafrechtlichen Maßstabs, nur die gewohnheitsrechtlichen Ausnahmen der Immunität.
21 Auch Gaddafi selbst kann keine Immunität in Anspruch nehmen. Am einfachsten kann dies durch Äußerungen von Gaddafi begründet werden, er nimmt für sich in Anspruch, kein Staatsamt zu bekleiden sondern nur Revolutionsführer zu sein.
22 Darüber hinaus geht die herrschende Meinung davon aus, dass Immunitäten und folglich auch Ausnahmen von diesen Immunitäten weit gefasst sind. Anknüpfungspunkte sind damit nicht ausschließlich amtliche Eigenschaften, sondern auch de-facto-Positionen. Im Falle Gaddafis ist deutlich, dass er das de-facto-Staatsoberhaupt oder der de-facto-Regierungschef ist: fremde Staatsoberhäupter und Regierungschefs treffen sich mit ihm, nicht mit dem formellen Staatsoberhaupt und Sekretär des Allgemeinen Volkskongresses, Mohamed Abu Qasm Zwai, oder dem formellen Regierungschef Al-Baghdadi Ali Al-Mahmudi, dem Generalsekretär des Allgemeinen Volkskomitees. Davon geht auch das deutsche Bundesregierung aus, die Gaddafi auf den Internetseiten des Auswärtigen Amtes als de-facto-Staatsoberhaupt bezeichnet.
Kooperationspflichten Libyens
23 Libyen ist weder Vertragspartei des IStGH-Statuts noch hat es Statut unterschrieben, so dass auch das Frustrationsverbot aus Art. 18 WÜV nicht einschlägig ist. Dennoch wird für diese Situation Libyen wie eine Vertragspartei behandelt, es ist nach dem Teil 9 des Statuts zur vollständigen Kooperation mit dem IStGH verpflichtet. Dies gilt, weil der Sicherheitsrat sich das gesamte Statut zu Eigen macht und implizit auf das gesamte Statut verweist, Ausnahmen oder Einschränkungen macht er weder ausdrücklich noch implizit.
Ankündigung des IStGH-Chefanklägers
24 Bereits nach wenigen Tagen hat der Chefankläger des IStGH angekündigt, Ermittlungen einzuleiten. Die Anklagebehörde wird sich zunächst auf Vorwürfe wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit konzentrieren, die von Muammar al-Gaddafi und seinen engsten Vertrauten begangen worden sein sollen. Dies ist aus drei Gründen anmerkenswert.
25 Erstens hat der Chefankläger damit einen Geschwindigkeitsrekord aufgestellt. Bisher hat er durchschnittlich wenige Monate gebraucht, um einen solchen Entschluss zu fassen. Meistens handelte es sich dabei um Situationen, in denen die Gewalt ein viel größeres Ausmaß hatte, als in Libyen. Auch wenn die Schnelligkeit aus rechtsstaalicher Sicht zu begrüßen ist, bleibt rätselhaft, warum der Ankläger diesmal so zügig entschieden hat.
26 Zweitens übersieht der Ankläger, dass in Libyen nicht nur Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern auch Kriegsverbrechen begangen werden können. Er wird seine Einschätzung in Zukunft korrigieren müssen (Rn. 10 ff.).
27 Der IStGH hat mit der Kenia-Situation eine Situation vorzuliegen, die, ähnlich wie die Situation in Libyen, nicht durch langandauernde Konflikte zwischen mehr oder weniger deutlich erkennbaren Gruppen gekennzeichnet ist, sondern in der Teile der Bevölkerung gegen die Regierungen kämpfen und die Gewalt innerhalb von wenigen Tagen auf beiden Seiten regelrecht explodiert ist. Der IStGH geht in Kenia dem Verdacht auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach. Innerhalb der Vorverfahrenskammer II ist allerdings umstritten, ob die „post-election-violence“ in Kenia wirklich das Kriterium erfüllt, dass Handlungen „im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung“ durchgeführt werden. So kann Richter Kaul keine nationale Organisation erkennen, die hinter den Gewalttaten steht. Ob dies auch im Falle Libyen problematisiert wird, bleibt abzuwarten, ist aber eher zweifelhaft – in Libyen handelt gerade die Zentralregierung und Richter Kaul ist kein Mitglied der Vorverfahrenskammer I, die für die Libyen-Situation zuständig ist.
Ergebnis
28 Die Resolution 1970 (2011) ist, wie schon ihr Vorbild Resolution 1593 (2005) rechtmäßig. Der IStGH hat nunmehr die völkerrechtliche Grundlage, Ermittlungen und Strafverfahren durchzuführen. Allerdings zeigt sich, dass der Sicherheitsrat und der Chefankläger nicht alle Aspekte ausreichend berücksichtigt haben und die Behandlung der libyschen Situation weiteren Entwicklungen unterliegen wird.
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