Kaum im Amt, schon muss die neue Chefanklägerin des IStGH einen neuen Konflikt strafrechtlich untersuchen. Es handelt sich dabei um die Kämpfe in Mali.

Hintergrund

Im März 2012 fand in Mali ein Militärputsch statt. Dieser sei erfolgt, so die Putschisten, weil die Regierung nicht entschlossen gegen die Rebellion im Norden des Landes vorgegangen sei. Dort, in der Azawad-Region, kämpften Tuareg-Rebellen in der „Nationalen Bewegung für die Befreiung des Azawad“ für einen eigenen, säkularen Staat. Unterstützt wurde die Bewegung durch die Gruppe Ansar Dine, eine islamistische bewaffnete Gruppe, der Verbindungen zu Al-Qaida nachgesagt werden und welche die Errichtung eines Gottesstaates zum Ziel hat. Im Zuge der Kämpfe wurde die Allianz aufgekündigt und nunmehr kämpft die Azawad-Bewegung gegen Ansar Dine, die im Juni 2012 Timbuktu unter ihre Kontrolle gebracht hat. Timbuktu hat große Bedeutung für die Verbreitung des Islam in der Region, daher sind Teile der Stadt UNESCO-Weltkulturerbe, u. a. die Grabstätten einiger Gelehrter und Sufi-Heiliger. Diese Gebäude werden von Ansar Dine als Manifestation eines unreinen Islams angesehen und nach und nach zerstört. In diesem Zuge hat die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) am Wochenende den IStGH angerufen, in der Situation zu ermitteln.

Gerichtsbarkeit des IStGH

Dies ist grundsätzlich möglich, denn Mali ist Vertragspartei des IStGH-Statuts seit dessen Inkrafttreten. Damit erstreckt sich die Gerichtsbarkeit des IStGH auf alle Taten, die seit Juli 2002 in Mali begangen wurden, ob von malinesischen Staatsangehörigen oder Ausländern. Erforderlich zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ist eine Unterbreitung der Situation durch Mali oder einen anderen Vertragsstaat des Statuts (Art. 13 lit. a] IStGH-Statut) oder die Einleitung eigener Ermittlungen durch die Chefanklägerin (Art. 13 lit. c] IStGH-Statut).

Strafbare Handlungen

Die gewohnheitsrechtliche Strafbarkeit von Kulturgüterschutz im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt kann zwar durchaus bestritten werden. Für den Fall des IStGH-Statuts aber stellt sich dieses Problem nicht, denn das Statut kennt einen Straftatbestand für vorsätzliche Angriffe auf geschichtliche Denkmäler (Art. 8 Abs. 2 lit. e] num. iv]). Darunter fallen Teile des UNESCO-Weltkulturerbes – solange ein Gebäude nicht als militärisches Ziel zu qualifizieren ist. Da aber keines der zerstörten Gebäude so genutzt wurde, sind Angriffe humanitär-völkerrechtlich unzulässig gewesen. Die Täter sind eines Kriegsverbrechens strafbar. Dass in einem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt auch Menschen zu Schaden kommen, scheint zumindest die europäische Presse nur am Rande zu interessieren. Dies ist mehr als misslich. Das humanitäre Völkerrecht sieht zur Verminderung menschlichen Leids auch hier Schutzvorschriften vor, die strafbewehrt sind. Ob es in Mali zu Kriegsverbrechen an Personen gekommen ist, lässt sich derzeit nicht feststellen – dies obliegt der neuen Chefanklägerin des IStGH.

Ausblick

Es scheint so, als verspotteten die Geschehnisse die Wahl von Frau Bensouda. Die neue Chefanklägerin ist u. a. gewählt worden, um der Afrikazentriertheit der IStGH-Ermittlungen einen Gegenpol entgegenzusetzen (Vgl. L. Hofmann, Bofax 408D). Bislang sind alle sieben anhängigen Situationen in Afrika zu finden. Jetzt ist eine achte afrikanische Situation möglich. Damit steht die Chefanklägerin steht vor der ersten Bewährungsprobe. Entweder sie leitet Ermittlungen und Strafverfolgungen ein. Damit würde sie diejenigen enttäuschen, die gegen weitere Ermittlungen in Afrika sind. Oder sie lehnt die Einleitung ab, weil keine ausreichend schweren Kriegsverbrechen begangen wurden. Entscheidend dürfen politische Erwägungen für ein Gericht nicht sein. Die Anklägerin kann daher zu Beginn ihrer Amtszeit beweisen, dass ihre Wahl eine gute Wahl war und objektiv an die Situation herangehen.

Update 18.7.: Der Text ist als Bofax Nr. 409D der Ruhr-Universität Bochum veröffentlicht worden (Download).

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