Die Chefanklägerin des IStGH berichtet halbjährlich über den aktuellen Stand der Darfur-Situation an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Anfang Juni 2013 hat die Chefanklägerin den nunmehr 17. Bericht vorgelegt. Mit Frustration und Verzweiflung, so die Anklägerin, müsse sie das Untätigbleiben des Sicherheitsrates feststellen. Damit spricht der Bericht vor allem an: Während der Konflikt in Darfur andauert, interessiert sich die internationale Gemeinschaft immer weniger für die Situation vor Ort. Dabei gibt es Grund genug, sind doch allein in 2013 mehr als 300.000 Flüchtlinge in den Tschad geflüchtet. In dem Bericht werden Beispiele für Vorfälle genannt, die immer wieder vorkommen und sich wie ein “worst of” lesen: Angriffe von Regierung und Rebellen gegen Zivilpersonen, Angriffe gegen Flüchtlinge, Sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen, Einsatz von Kindersoldaten und Entführungen.

Dass die Konfliktparteien nicht in der Lage sind, diese Gewalt zu stoppen, ist auch der Anklägerin bewusst. Sie bedauert daher zu Beginn ihrer Erklärung, dass der Sicherheitsrat auch im letzten halben Jahr untätig geblieben ist. Ihr ist uneingeschränkt zuzustimmen. Der Sicherheitsrat hat es verpasst, tätig zu werden, den IStGH zu unterstützen und nicht zuletzt den betroffenen Personen in Darfur zu helfen.

Zunächst ist bedauernswert, dass die ausstehenden Haftbefehle nicht vollstreckt werden. Der IStGH ist dabei auf den Sicherheitsrat angewiesen. Die Mitglieder des Sicherheitsrates bedauern zwar diese Ineffektivität, unternehmen jedoch keine Schritte, um dies zu ändern. Schon fast gönnerhaft stellt der Sicherheitsrat nur in Aussicht, die Verhängung gezielter Sanktionen zu prüfen. Wenn Haftbefehle jedoch über Jahre nicht vollstreckt werden, ist die Völkerstrafrechtsverfolgung ernsthaft gefährdet. Folgende Beispiele sollen dies erläutern.

Reisen von gesuchten Personen

Sowohl Omar al-Bashir, der Präsident des Sudan, als auch Abdel Hussein, der Verteidigungsminister, können trotz der Haftbefehle in andere Staaten reisen (mehr zum Haftbefehl gegen Hussein). Dazu gehören auch Vertragsparteien des IStGH-Statutes, allen voran der Tschad. In das Nachbarland des Sudan reisen beide Personen regelmäßig. Die Aufforderung des IStGH an den Tschad, die beiden gesuchten Personen zu verhaften oder wenigstens um internationale Hilfe dabei zu bitten, werden regelmäßig ignoriert. Auch die Aufforderung, zu diesem Unterlassen Stellung zu nehmen, bleibt unbeantwortet.

Der IStGH ist zu Recht der Auffassung, dass sowohl der Sudan als auch der Tschad gegen ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen verstoßen. Der Sudan ist verpflichtet, die gesuchten Personen an den IStGH zu überstellen. Diese Verpflichtung gründet sich auf der Überweisungsresolution 1593 (2005), die den Sudan zu einer quasi-Vertragspartei macht und die Kooperationsverpflichtungen aus dem Statut kraft einer Kapitel-VII-Resolution auf den Sudan überträgt. Selbst die innerstaatlichen Verfahren gegen Rebellen seien, so die Anklägerin, nicht ernst zu nehmen. Der Tschad ist als Vertragspartei ohnehin an das Statut gebunden uns muss seiner Kooperationspflicht genüge tun. Dies ist in Res. 1593 (2005) erneut bestätigt worden.

An dieser Einschätzung ändert auch die Haltung der Afrikanischen Union nichts, die sich seit Jahren gegen den Haftbefehl gegen Omar al-Bashir einsetzt. Denn wie auch immer die Lage politisch eingeschätzt wird, an eine Kapitel-VII-Resolution des Sicherheitsrates haben sich die Staaten zu halten und sie haben ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Aufgrund von Art. 103 der Charta gehen diese Verpflichtungen allen anderen internationalen Verpflichtungen vor – also auch Beschlüssen der Afrikanischen Union. Ruanda irrt daher, wenn dessen Vertreter im Sicherheitsrat auf diese “Rechtsgrundlage” der Afrikanischen Union zur Verweigerung der Kooperation verweist.

Prozess gegen Banda und Jerbo

Auf den ersten Blick gute Nachrichten sind in dem Verfahren gegen Abdallah Banda und Saleh Jerbo zu berichten. Im Mai 2014 soll, sieben Jahren nach den vorgeworfenen Taten, der Prozess beginnen. Die Staaten lassen nur zwischen den Zeilen erkennen, was die Anklägerin in ihrem Bericht ausspricht, nämlich dass der Prozess wahrscheinlich nur gegen einen der Angeklagten beginnt: Der Beschuldigte Jerbo soll im April 2013 bei einem Gefecht zwischen verfeindeten Rebellengruppen getötet worden sein (Link). Solange keine Beweise für seinen Tod vorliegen, wird das Verfahren jedoch weitergeführt. Dies zeigt deutlich, dass ein langwieriges Verfahren von den Betroffenen nicht ernst genommen wird. Obwohl Jerbo bereits einer Anklage wegen Kriegsverbrechen bevorstand hat er – selbst nach Vorstelligwerden in Den Haag – weiter an dem Konflikt teilgenommen.

Wirkungslose Haftbefehle

Die Gefahr wirkungsloser Haftbefehle ist längst verwirklicht. Wie bereits dargestellt wirken Bashir, Hussein und Harun in einem anderen Teil des Sudan erneut zusammen und wiederholen das Muster, das sie im Darfur-Konflikt ausprobiert haben. Weil diese drei damit durchgekommen sind, also eben keine wirksamen Sanktionen der internationalen Gemeinschaft zustande gekommen sind, haben die Verdächtigen keine Angst und keine Hemmungen, ihre Ziele mit Gewalt und Verbrechen durchzusetzen. Eben dieses Szenario zeichnet nunmehr auch die Anklägerin.

Weitere Entwicklungen

Begrüßenswert findet die Anklägerin die neue Praxis der Vereinten Nationen, mit Personen, die per IStGH-Haftbefehl gesucht werden, nur noch den Kontakt zu halten, der dringend für die Arbeit der Vereinten Nationen erforderlich ist. Darunter falle auch der Besuch der Chefin von UN OCHA im Sudan.

Die Staaten haben den Bericht der Anklägerin gemischt aufgenommen. Während die meisten Staaten ihre Unterstützung des IStGH betonen, verweisen andere darauf, dass sie nicht Vertragspartei des IStGH-Statuts sind. Entscheidender sind aber die Meinungsverschiedenheiten in den Einzelheiten. Die Verantwortlichkeit für die andauernde Gewalt in Darfur sehen die Staaten entweder bei der sudanesischen Regierung (so Luxemburg und Guatemala) oder bei den Rebellen (Russland und Ruanda).

Auch was das follow-up durch Sicherheitsrat angeht, werden unterschiedliche Ansätze verfolgt. Damit ist die Strategie gemeint, die der Sicherheitsrat nach Überweisungen an den IStGH wählen sollte. Derzeit befasst sich eine Arbeitsgruppe mit dem Thema und untersucht beispielsweise, wie der Sicherheitsrat den IStGH bei der Strafverfolgung einzelner Strafverfahren unterstützen kann. Selbst dieser Minimalkompromiss ist im Sicherheitsrat umstritten, da Russland die Zuständigkeit der Arbeitsgruppe für die Beantwortung dieser Frage ablehnt. Es sieht danach aus, als hätte der Sicherheitsrat die Frage an ein Unterorgan abgegeben, um einen Sündenbock für sein Versagen zu haben.

Bedauert haben die Anklägerin und die Staaten allgemein die Tötung von Mohamed Bashar im Mai 2013 (Link). Bashar war Anführer einer eigenen Fraktion des Justice and Equality Movements (JEM), der bei einem Angriff einer anderen Fraktion des JEM getötet wurde. Grund dafür soll sein, dass die JEM-Bashar-Fraktion das Doha-Agreement mit der Regierung geschlossen hat, was von anderen Rebellengruppen als Verrat ausgelegt wird.

Ergebnis

Es bleibt – wieder einmal – zu hoffen, dass der Sicherheitsrat seinen Worten Taten folgen lässt. Die Situation in Darfur hat sich im letzten halben Jahr deutlich verschlechtert. Und wenn die verantwortlichen Personen auch zukünftig keine Maßnahmen zu fürchten haben, wird sie sich weiterhin verschlechtern, in Darfur und anderswo.

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