Auf der Website von Foreign Affairs sind zwei neue Artikel zu den aktuellen Entwicklungen in Libyen erschienen. Beide gehen davon aus, dass der Krieg gegen Gaddafi vorbei und gewonnen ist. Der Artikel von Michael O’Hanlon („Libya and the Obama Doctrine - How the United States Won Ugly“) ist leider nur zum Teil frei zugänglich. Er soll hier nicht besprochen werden.

Patrick Stewarts frei zugängliche völkerrechtliche Einschätzung des Krieges („Libya and the Future of Humanitarian Intervention -How Qaddafi’s Fall Vindicated Obama and RtoP“) muss man nicht teilen, man sollte ihr widersprechen.

Bevor wir zu den rechtlichen Fragen kommen: Stewart sagt deutlich, dass Präsident Obama mit dem multilateralen Vorgehen zwei Ziele verfolgt hat: kurzfristig den Stop der Gewalt gegen Demonstranten und langfristig den Sturz Gaddafis. Damit spricht er in aller Deutlichkeit und Sachlichkeit aus, was sonst oft einseitig berichtet und bewertet wird. Selbstverständlich ging es der Allianz gegen Gaddafi, insb. den US-Amerikanern und den Franzosen, um dessen Sturz. Dies kann in Anbetracht der Äußerungen in den letzten Monaten nicht geleugnet werden. Von besonderer Bedeutung für die Entwicklungsgeschichte der Resolutionen 1970, 1973 (beide 2011) ist dabei, dass dies freimütig von den US-amerikanischen, französischen und britischen Vertretern im Sicherheitsrat zugegeben wurde.

Aber es ging den Staaten eben auch um den Schutz der Menschenrechte, schlicht weil die Gewalt gegen die Demonstranten unerträglich war. Eine Verkürzung auf den Aspekt des regime change greift eben zu kurz, wie wir derzeit an den Schwierigkeiten der Bundesregierung in Paris sehen können.

Responsibility to Protect?

Die völkerrechtliche Bewertung, die Stewart in der Folge vornimmt, ist zurückzuweisen. Er spricht davon, dass das Vorgehen im Rahmen der „responsibility to protect” (r2p) gerechtfertigt sei und damit der Diskussion um die Zulässigkeit humanitärer Interventionen neuer Stoff geliefert werde.

Nur: Die r2p ist gar nicht einschlägig. Das wird zwar immer wieder behauptet (hier zum Beispiel), ist aber wohl nicht zutreffend.

Die r2p ist vom Weltgipfel der Vereinten Nationen 2005 beschlossen worden. Danach ist in erster Linie ein Staat dafür verantwortlich, dass seine Bevölkerung vor schweren Menschenrechtsverletzungen geschützt wird. Ist er dazu nicht willens oder nicht in der Lage, oder ist er, wie in Libyen, selbst dafür verantwortlich, dann geht auf einer zweiten Stufe diese Verantwortlichkeit auf die internationale Gemeinschaft über. Wenn deren friedliche Schritte nicht zum Erfolg führen, soll auf der dritten Stufe der Sicherheitsrat für die Staatengemeinschaft tätig werden – ggf. auch mit militärischen Mitteln.

Die r2P ist aus mehreren Gründen unergiebig:

- Den Beschluss über die r2P hat die Generalversammlung getroffen. Auch wenn der Sicherheitsrat diesen begrüßt hat, ist eine Resolution der Generalversammlung rechtlich unverbindlich.

- Darüber hinaus ist die r2p auch keine neue Rechtsentwicklung, sie stellt nur ein politisches Konzept dar (hier).

- Im Falle Libyens ist die erste Stufe „gescheitert”. Die zweite Stufe wurde aber gar nicht groß betreten, bevor der Sicherheitsrat tätig wurde.

- Anders als in dem einzigen Fall, indem der Sicherheitsrat sich auf die r2p berufen hat (Res. 1674 [2006]) hat der Sicherheitsrat bei der Res. 1970 (2011) einen solchen Verweis unterlassen.

Res. 1970 als Muster für zukünftige Einsätze?

Stewart ist der Auffassung, dass trotz des Erfolges ein ähnliches Vorgehen wie in Libyen in keinem anderen Fall zu erwarten sei, dazu sei die Situation zu einmalig: Gaddafi sei ein Schurke ersten Grades, der selbst seine Verbündeten verprellt habe; kein ständiges Sicherheitsratsmitglied habe spezielle Sympathien gegenüber Libyen oder irgendwelche Interessen am Gaddafi-Regime; Libyen sei aus taktischer Sicht einfacher zu bekämpfen als andere Staaten; durch die Nähe zu Europa wären europäische Staaten schon aus praktischen Gründen geneigter gewesen, eine Koalition zu bilden und es gab eine wirkliche Oppositionsbewegung vor dem Beginn der Kämpfe.

Hier wurde bereits eine andere Einschätzung vorgenommen. Ich teile den Optimismus nicht, sondern befürchte, dass die Res. 1970 (2011) Muster für zukünftige Operationen sein wird. Darüber hinaus ist mir nicht klar, wie der Libyenkrieg die zukünftige Entwicklung beeinflussen soll, wenn er doch so einmalig war. Mir scheint, Stewart vermischt das politische Konzept der Schutzverantwortung mit den rechtlichen Rahmenbedingungen und trennt politische r2p und rechtliche r2p nicht.

r2p in der US-amerikanischen Politik

Sehr interessant sind die Ausführungen zur r2p aus inneramerikanischer Sicht. Stewart macht deutlich, dass sich Obama mit seinem Verweis auf die r2p deutlich gegenüber der Vorgängerregierung absetzt. Problematisch sei, dass die USA das einzige Land der Welt seien, die in der Lage wären, eine r2p immer und überall durchzusetzen, auch wenn dies freilich nicht passiere. Stewart sieht es allerdings aus verschiedenen Gründen als positiv an, dass die USA die r2p nicht allein, immer und überall durchsetzten. Dagegen stehen die Souveränität des betreffenden Staates, Gewaltanwendung seien immer ultima ratio, die darüber hinaus multilateral vorzunehmen seien und immer die Bereitschaft voraussetzten, nach der Gewalt im Land zu bleiben und den Frieden durch verschiedene Maßnahmen zu sichern.

Diese Gründe leuchten aus rechtlicher Perspektive ein – auch wenn bedacht werden muss, dass auf der anderen Seite Menschen und Menschenrechte stehen. Rechtmäßig wird eine humanitäre Intervention nach derzeitigem Völkerrecht nur, wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine militärische Intervention nach Kapitel VII der Charta beschließt – damit liegt aber keine humanitäre Intervention mehr vor, denn dieser Begriff bezeichnet gerade das Handeln ohne eine solche Sicherheitsratsermächtigung.

)Eine letzte Anmerkung: eine einseitige Durchsetzung der r2p ist genau genommen auch keine Durchsetzung der r2p, die immer eine kollektive Dimension hat.)

Thomas Darnstädt von SPIEGEL Online hat einen interessanten Beitrag zur Frage “Libyen und das Völkerrecht” verfasst, in dem auch die Professoren Claus Kreß und Kai Ambos zu Wort kommen.

Der Kollege Brunner aus Hannover hat sich auf www.legaltribuneonline.de zum Problem des Bundeswehreinsatzes in Libyen geäußert.

Anna Dolidze, Mitglied der American Society of International Law, hat eine Analyse zu den Entscheidungen des Afrikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Bezug auf Libyen geschrieben (African Court on Human and Peoples’ Rights – Response to the Situation in Libya, ASIL insights, vol. 15, No. 20 vom 26. Juli 2011, hier abrufbar). Sie befasst sich vor allem mit den verschiedenen Akteuren, die in Afrika und speziell in Libyen zur Wahrung der Menschenrechte berufen sind.

Insbesondere lohnenswert sind die Ausführungen zu den unterschiedlichen Institutionen. Erstaunlicherweise ist das Völkerrecht in Afrika immer noch ein Bereich, den die internationale Literatur kaum zur Kenntnis nimmt – solange es nicht um Krieg geht (apropos: wann erscheint endlich Andreas Zimmermanns Buch ‚Africa and International Law’?).

Einen zweiten Schwerpunkt setzt die Autorin bei dem Verfahren gegen Libyen. Sie berichtet, wie die Entscheidungen des Gerichtshofs zustande gekommen ist. Dabei betont Dolidze, wie sehr sich Libyen gegen jede Einmischung verwahrt und die Beschlüsse des Gerichtshofs umgeht.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat am Montag Berichte der truppenstellenden Staaten der United Nations – African Union Hybrid Mission in Darfur gehört. Leider sind weder die Stellungnahmen noch etwaige Ergebnisse öffentlich zugänglich.

Manuel Brunner, Mitarbeiter der Universität Hannover, hat sich in einem Bofax der Universität Bochum zu der neuen Friedensmission im Südsudan geäußert. Dabei bleibt Manuel skeptisch, ob die UNMISS Erfolg haben wird. So würden insb. die bisherigen Beispiele von ähnlichen Friedensmissionen in Afrika wenig Grund zur Hoffnung geben. Angesichts der vielen Friedenstruppen in der Region und der Anteilnahme der Staatengemeinschaft an der Geburt des Südsudans sehe ich die Lage optimistischer. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Weltöffentlichkeit den Südsudan nicht wieder vergißt und weiterhin in der Konfliktlösung engagiert bleibt.

Der Sudan hat angekündigt, allen auf seinem Gebiet lebenden Südsudanesen die sudanesische Staatsangehörigkeit zu entziehen. Das war bereits für den Fall eines erfolgreichen Referendums angekündigt worden. Den Erfolg des Referendums kann man seit Samstag sehen – oder hier und hier und hier.

Der Entzug bietet die Gelegenheit, über ein paar Dinge zu sprechen.

Die Staatsangehörigkeit im Völkerrecht

Der Sudan ist, wie jeder Staat der Welt, grundsätzlich frei, über die Verleihung oder den Entzug seiner Staatsangehörigkeit zu entscheiden. Die Frage gehört zum Kernbereich seiner Souveränität und wird durch das Völkerrecht nicht beeinflusst. Einzig soll vermieden werden, dass Individuen staatenlos werden.

Da die Südsudanesen, die bislang die sudanesische Staatsangehörigkeit haben und vom Entzug betroffen sind, aber die neue südsudanesische Staatsangehörigkeit erhalten haben (davon gehe ich nach dem Bericht in der FAZ aus), werden diese aber gerade nicht staatenlos.

Genuine link?

Das Kriterium des sogenannten „genuine link“ ist für die Verleihung und den Entzug der Staatsangehörigkeit gerade keine Voraussetzung, auch wenn das häufig berichtet wird.

Das Merkmal „genuine link“ hat der Internationale Gerichtshof (IGH) im Nottebohm-Fall „entwickelt“. In dem Fall ging es um folgendes:

Herr Nottebohm war Angehöriger des deutschen Reichs. Er wanderte kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert nach Guatemala aus. Deutschland besuchte er in der Folge kaum noch. Er befand sich Ende 1939 in Hamburg und fuhr für einen Kurzbesuch zu seinem Bruder, der nicht mehr in Deutschland, sondern in Liechtenstein lebte. Herr Nottebohm entsagte dort seiner deutschen Staatsangehörigkeit und nahm, gegen die Zahlung einer Gebühr, die liechtensteinische Staatsangehörigkeit an.

Im Jahr 1941 erklärte Guatemala Deutschland den Krieg. In der Folge enteignete das Land alle deutschen Staatsangehörigen, auch Herrn Nottebohm, sie waren nunmehr schließlich Angehörige des Feindes. (Gerüchten zufolge erklärte Guatemala Deutschland wegen Herrn Nottebohms Vermögen den Krieg, denn dieser war inzwischen reich geworden. Ob die Gerüchte stimmen, kann ich nicht beurteilen, sie geben dem Sachverhalt aber Pfiff.)

Liechtenstein klagte gegen Guatemala und übte diplomatischen Schutz zugunsten seines Staatsangehörigen aus.

Der IGH wies die Klage ab und begründete seine Entscheidung mit dem „genuine link“: Diplomatischer Schutz sei eben nur zulässig, wenn zwischen dem Staatsangehörigen und dem Staat, der ihn im internationalen Verkehr vertreten möchte, eine hinreichend gefestigte Beziehung bestünde. Der Aufenthalt des Bruders Nottebohm und der Kauf der liechtensteinischen Staatsangehörigkeit reichten dafür nicht aus.

Allerdings sagte der IGH eben deutlich, dass dieses Kriterium nur für die Ausübung diplomatischen Schutzes existiert. Einen Einfluss auf Verleihung oder Entzug der Staatsangehörigkeit hat es nicht, vielmehr bleibt die Frage der Staatsangehörigkeit eine Frage des nationalen Rechts.

Damit ist auch für den Sudan ohne Belang, wie sehr die Südsudanesen sich noch als Sudanesen fühlen.

Kriterien zum Entzug der Staatsangehörigkeit

Interessant ist, an welches Kriterium der Sudan bei dem Entzug anknüpft. Die Frage, wer Südsudanese ist, dürfte schwer zu klären sein. Alle Anknüpfungspunkte, die man sich vorstellen kann, wären wohl ein klarer Verstoß gegen Menschenrechte: In Betracht kamen die Religion oder die ethnische Zugehörigkeit. Der Sudan macht es sich aber einfach und sieht als Südsudanesen alle an, die eine Abstimmungskarte für das Unabhängigkeitsreferendum beantragt hatten. Das ist zulässig und konsequent. Denn an dem Referendum dürften nur Südsudanesen teilnehmen. Wer sich zu diesem Zeitpunkt als Südsudanese empfand, soll sich damit wie einer verhalten und auch Südsudanese auf dem Papier werden.

Bitter ist dies für Wähler, die gegen die Unabhängigkeit gestimmt haben. Zugegeben, es waren nur wenige, aber diese dürften umso mehr enttäuscht sein und jede Restloyalität gegenüber dem Sudan verloren haben.

(Quelle: FAZ vom 15. Juli 2011, S. 5).

Am Donnerstag hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen den Südsudan in die Organisation aufgenommen. Nicht einmal eine Woche ist der Staat alt und schon voll in die internationale Gemeinschaft integriert. Mir ist kein Fall bekannt, indem ein Staat schneller in die VN aufgenommen wurde.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat am 11. Juli den Aufnahmeantrag Südsudans an das Committee on the Admission of New Members verwiesen. Damit ist der erste Schritt getan, dass der Südsudan demnächst das 193. Mitglied der Vereinten Nationen wird. Mit einer Entscheidung ist demnächst zu rechnen, vielleicht noch im Juli.

Für die Leser, die der genaue Ablauf interessiert, hat der Security Council Monitor eine ausführliche Übersicht zusammengestellt:

  • The new state submits an application to the Secretary-General containing a formal declaration accepting the obligations of the UN Charter.
  • The Secretary-General sends a copy of the application to the General Assembly and to the Council. The Council will consider the application at a formal closed meeting and adopt an agenda usually titled “Admission of New Members”.   At this initial session the Council usually agrees that the application should be referred by the President of the Council to a Committee of the Security Council.
  • The Committee examines the application and reports its conclusions to the Council no later than 35 days before a regular session of the General Assembly or no later than 14 days before a Special Session of the General Assembly. (In recent years the practice has been for the Council to complete its consideration rather quickly. For instance, the interval between the first meeting of the Council to consider an application, the committee meeting and the second open meeting of the Council where it adopts its recommendation to the General Assembly is often held within a twenty-four hour period).
  • As membership is a substantive issue nine of the fifteen members of the Council, including all five of the permanent members, must agree to the admission of the new state. Among the criteria for admission is whether the new state is peace-loving and is able and willing to carry out the obligations contained in the Charter.
  • If the Committee recommends admission it usually presents the Council with a draft resolution recommending admission of the new state for consideration by the General Assembly.
  • If the Council recommends admission, the recommendation is presented to the General Assembly for consideration. The Council cannot make its recommendation less than 25 days ahead of a regular session of the General Assembly or less than four days ahead of a special session.  However, under special circumstances, the Council may waive the time limits.  This occurred most recently in 2000 when the Council waived the time limit for Tuvalu and Yugoslavia so that their applications could be considered by the General Assembly’s 55th session.
  • A two-thirds majority is needed in the General Assembly for admission of a new member, and membership is effective on the date that the resolution of admission is adopted.
  • If the Council decides not to recommend the new state for admission or postpones consideration of the application, it has to submit a special report to the General Assembly.  The General Assembly considers this special report and sends the application back to the Council with a full record of its discussion for further consideration and recommendation. While most applications for membership have gone through smoothly, there have been contentious cases. For example, In 1955 Mongolia’s bid for membership was thwarted by China’s veto (when the seat was filled by the Republic of China (ROC) and not the People’s Republic of China (PRC)) as it saw Mongolia as part of China. This postponed the admission of Mongolia until 1960, when the Soviet Union announced that unless Mongolia was admitted, it would block the admission of all of the newly independent African states.  As recently as 2000 China abstained from voting on Tuvalu’s membership as it objected to the fact that Tuvalu had diplomatic relations with Taiwan.

Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Vereinte Nationen enthält einen Beitrag zu den “UN-Maßnahmen gegen Libyen” von Robin Geiß und Maral Kashgar. Ich bin noch nicht zur genauen Lektüre gekommen, sondern habe den Artikel nur überflogen. Auf den ersten Blick stimme ich dem Artikel aber zu.