Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat sich am Montag mit der Lage in Abyei befasst und eine Resolution nach Kapitel VII der Charta erlassen. In den nächsten Tagen werde ich mich damit befassen und die Ergebnisse hier veröffentlichen.

Diejenigen, die sich die Resolution ansehen wollen, finden sie auf den Seiten des Sicherheitsrates (eine direkte Verlinkung ist leider nicht möglich).

s. auch “Erneuter Streit im Sudan: Öl, Abyei und Kordofan – Teil 1″

Die FAZ berichtet heute über den Besuch von Omar al-Bashir in China.

Bashir, der mit einem Haftbefehl wegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gesucht wird, reiste nach China, um die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Staaten zu stärken. China stellt für den Sudan den wohl wichtigsten Handelspartner dar. Die Chinesen beziehen den Löwenanteil des sudanesischen Öls, der einen deutlichen Anteil ihres eigenen Ölimports ausmacht.

Ganz abgesehen von dem Haftbefehl sind diese Beziehungen aber gespannt: In den nächsten Tagen wird der Südsudan unabhängi. Im Südsudan aber befinden sich aber die großen sudanesischen Ölvorkommen. China ist daher an einem guten, zumindest friedlichen, Verhältnis der beiden sudanesischen Staaten gelegen (zu den letzten Konflikten siehe hier).

Der Haftbefehl selbst kann den Chinesen rechtlich gleichgültig sein, denn weder ist China Vertragspartei des IStGH-Statuts noch ist China über die Res. 1593 (2005) zur Kooperation mit dem Gerichtshof verpflichtet.

Am 27.6.2011 hat die Vorverfahrenskammer I des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag Haftbefehle gegen den libyschen de-facto-Staatschef Muammar al-Gaddafi, dessen Sohn und libyschen de-facto-Regierungschef Saif-al-Islam und den Chef des militärischen Geheimdienstes Abdullah al-Senussi erlassen. Sie ist dabei im Großen und Ganzen dem Antrag des Anklägers von Mitte Mai gefolgt – eine unglückliche Entscheidung.

(1) Die Haftbefehle ergingen wegen des Verdachts der Verbrechen gegen die Menschlichkeit der vorsätzlichen Tötung (Art. 7 Abs. 1 lit. a] IStGH-Statut) und der Verfolgung (Art. 7 Abs. 1 lit. h] IStGH-Statut). Die Kammer sieht den erforderlichen Begehungszusammenhang als erfüllt an. Dieses geschieht mit großem Begründungsaufwand, denn das Chapeau von Art. 7 IStGH-Statut setzt voraus, dass eine Handlungen im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des Angriffs begangen werden muss, um als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu gelten.

(2) Konsequenterweise stellt die Kammer keinen Haftbefehl für Kriegsverbrechen aus. Konsequent, weil schon der Antrag des Anklägers ausdrücklich keine Kriegsverbrechen umfasste. Dies verwundert. Denn zu Recht geht der Ankläger davon aus, dass „seit Ende Februar“ ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt vorliegt. Er meint sogar ausdrücklich, dass Kriegsverbrechen begangen werden. Umso erstaunlicher, dass Kriegsverbrechen fehlen, weil diese gerade keinen Begehungszusammenhang erfordern, sondern nur, dass eine Tat im bewaffneten Konflikt begangen wurde. Damit ist der Begründungsaufwand kleiner, eine geplanter Großangriff auf die Zivilbevölkerung muss gerade nicht nachgewiesen werden. Warum der Ankläger seinen Antrag beschränkt hat, erschließt sich nicht.

(3) Die Gesuchten genießen keine Immunität. Dies gilt allerdings erst seit dem 26.2.2011, denn erst an diesem Tag hat der Sicherheitsrat mit Resolution 1970 (2011) etwaige gewohnheitsrechtliche Immunitäten aufgehoben. Der vertragsrechtliche Verzicht auf die Immunität durch Art. 27 IStGH-Statut gilt für Libyen als Nichtvertragspartei gerade nicht. Rückwirkend kann auch der Sicherheitsrat die Immunität nicht aufheben. Problematisch dabei ist, dass die den Gaddafis vorgeworfenen Taten, in dem „Zeitraum vom 15.2. bis mindestens zum 28.2.2011“ begangen worden sind. Damit muss sich der Haftbefehl auf die letzten beiden Februartage beschränken, um völkerrechtsgemäß zu sein. Al-Senussi ist der Kammer zufolge für den Zeitraum bis zum 20.2.2011 verantwortlich, da unsicher ist, ob er später noch Einfluss über den Geheimdienst hat.

(4) Vollstreckt werden müssen die Haftbefehle von den Mitgliedstaaten des IStGH und von Libyen selbst, das als Nichtvertragspartei über Res. 1970 (2011) zur Kooperation verpflichtet wurde, jede Kooperation aber ablehnt. Der Nationale Übergangsrat der Aufständischen hat bereits angekündigt, die Haftbefehle vollstrecken zu wollen. Entgegen der Ansicht des Anklägers deckt Res. 1973 (2011) des Sicherheitsrates eine Festnahme durch fremde (Boden-)Truppen: Dort sind alle (militärischen) Maßnahmen zum Schutz von Zivilpersonen erlaubt (Rn. 4), die Haftbefehle ergehen, um weitere Verbrechen gegen die Bevölkerung zu verhindern (Art. 58 I lit. b] iii] IStGH-Statut und jeweils S. 6 der Haftbefehle).

(5) Völkerrechtlich einwandfrei sind die Haftbefehle keineswegs. Auch politisch dürften sich die Organe des IStGH keinen Gefallen getan haben. Zur effektiven internationalen Strafverfolgung wäre es wohl klüger gewesen, sich nicht in einem Antrag auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit und in einem zweiten Antrag auf Kriegsverbrechen zu beschränken (der zweite Antrag wird bereits erwartet, vgl. Spiegel Online), sondern einen umfassenden Haftbefehlsantrag zu stellen, der alle bisherigen Vorwürfe und Zeiträume umfasst.

Update: Der Text ist mit leichten Änderungen vom Institut für Friedenssicherungsrecht und humanitäres Völkerrecht der Ruhr-Universität Bochum  als BOFAX Nr. 388D herausgegeben worden (Download).

Die Vorverfahrenskammer I des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag hat heute drei Haftbefehle in der Libyen-Situation ausgestellt. Leider ist bislang nur die Pressemitteilung veröffentlicht, die Haftbefehle selber noch nicht. Die Kammer ist dabei dem Antrag des Chefanklägers gefolgt, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit als gegeben ansieht. Morgen wird sich der Ankläger in einer Pressekonferenz dazu äußern.

Auch hier wird sich bald dazu ein weiterer Eintrag finden. Näheres zu dem Antrag des Anklägers finden Sie hier und hier.

Update 28.6.: Die Entscheidung der Kammer sowie die Haftbefehle sind nunmehr auf der Website des IStGH online verfügbar.

Während die Verfahren der Darfur-Situation weiter ruhen, hat der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs angekündigt, heute bei der Vorverfahrenskammer die Genehmigung zur Aufnahme von Ermittlungen in der Elfenbeinküste zu beantragen. Dies ist möglich, weil die Elfenbeinküste die Gerichtsbarkeit des IStGH anerkannt hat, ohne den Vertrag ratifiziert zu haben. Das sieht das Statut in Art. 12 Abs. 3 vor (näheres habe ich bereits hier ausgeführt). Sollten die Richter die Ermittlungen gestatten, dann stellt diese Situation die erste vor dem IStGH dar, indem der Ankläger selbst Ermittlungen gegen eine Nichtvertragspartei aufgenommen hat. Die Situation in der Elfenbeinküste ist nach der Libyen-Situation die zweite Situation, die am IStGH im Jahr 2011 neu anhängig wurde.

Kurz vor der geplanten Unabhängigkeitserklärung des Südsudans ist der Streit um das Öl und dessen Export aus dem Südsudan nicht beigelegt. Die FAZ berichtet heute auf S. 1 f. davon, dass sich der zukünftige neue Staat und der Nordsudan (ab dem 9. Juli also der „Restsudan”) noch immer nicht über den Preis für die Nutzung der nordsudanesischen Pipelines einigen konnten. Der Südsudan ist darauf dringend angewiesen, um das Öl zu exportieren.

Damit ist auch eine Lösung des Konflikts um Abyei, der Region, in der das Öl zu finden ist, weit entfernt. Nordsudanesische Truppen halten das Gebiet nach wie vor besetzt.

Aus der Region Südkordofan werden Vorwürfe laut, wonach die Armee der Zentralregierung „ethnische Säuberungen“ durchführen soll. Der Erzbischof der Provinz Südkordofan, Gassis, beschuldigt die Regierung,  einen „Krieg gegen das Volk der Nuba“ zu führen. Die FAZ berichtet:

„Vor rund zehn Tagen hatte die nordsudanesische Armee dort eine Offensive gegen bewaffnete Gruppen begonnen, die im Bürgerkrieg für den Süden gekämpft haben und sich jetzt weigern, ihre Waffen abzugeben.” Hört sich so an, wie zu Beginn des Konflikts in Darfur, nur mit vertauschten Rollen.

Es bleibt zu hoffen, dass die Konflikte bald beigelegt werden können.

Die Elfenbeinküste musste in den vergangenen Monaten blutige Auseinandersetzungen zwischen Anhängern des abgewählten Präsidenten Laurent Gbagbo und Anhängern des international anerkannten Wahlsiegers der Wahl von 2010, Alassane Ouattara, ertragen. Gbagbo ist Anfang Mai 2011 festgenommen worden. Die Kämpfer sind damit zwar nicht völlig beendet, der Machtkampf jedoch scheint entschieden.

Die neue Regierung hatte bereits angekündigt, Gbagbo möglicherweise vor ein Strafgericht zu stellen. Dass dieses Vorgehen nicht politisch motiviert ist, zeigt nun der Bericht einer Untersuchungskommission der Vereinten Nationen. Dieser kommt zu dem Schluss, dass sowohl Kriegsverbrechen als auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Elfenbeinküste begangen worden sein könnten (Bericht der FAZ vom 11. Juni 2011, S. 7). Der Sicherheitsrat wird den Bericht am Mittwoch, den 15. Juni, diskutieren.

Aufgrund dieser Bewertung könnte der Sicherheitsrat die Situation in der Elfenbeinküste an den Internationalen Strafgerichtshof überweisen – nach Darfur und Libyen die dritte Überweisung einer Situation in einer Nichtvertragspartei des IStGH-Statuts.

Dafür spricht, dass die Überweisung der Situation in der Elfenbeinküste bereits vorgeschlagen wurde. Gerade im März und April konnte man in der Presse solche Gerüchte lesen. Dafür spricht natürlich auch das Ergebnis des Berichts der Kommission (disclaimer: Der Bericht ist noch nicht veröffentlicht). Denn wenn wirklich Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Betracht kommen, dann bietet sich der IStGH als Forum an.

Dagegen spricht allerdings der Grundsatz der Komplementarität. Denn der IStGH darf nur tätig werden, wenn und soweit nationale Strafverfolgung nicht erfolgt oder erfolg versprechend ist. Da aber die amtierende Regierung der Elfenbeinküste  bereits selbst angedeutet hat, Strafverfolgungsmaßnahmen einzuleiten, dürfte der Sicherheitsrat auf die nationale Strafverfolgung vertrauen und die Situation nicht an den IStGH überweisen.

Die Elfenbeinküste ist nicht Vertragspartei des IStGH-Statuts, hat das Statut aber bereits 1998 unterzeichnet. Damit bleibt eine Befassung des IStGH mit der Situation auf andere Art und Weise möglich: Die Elfenbeinküste hat mit der ad-hoc-Anerkennung gemäß Art. 12 Abs. 3 IStGH-Statut die Gerichtsbarkeit des IStGH für Verbrechen auf ihrem Territorium anerkannt (Link) und damit ist es rechtlich zulässig, die post-election-violence vor ein internationales Gericht zu bringen. Diese Option betont der Sicherheitsrat in Res. 1975 (2011) vom 30. März 2011.

Vorteil dieser Variante: Die Elfenbeinküste müsste das Statut nicht ratifizieren, um eine internationale Untersuchung zu erreichen. Dem IStGH begegnet sie positiv (die noch immer bestehende Unterschrift unter dem Statut zeigt dies, auch wenn schon Gbagbos Vor-Vorgänger die Unterschrift geleistet hat) und daher ist nicht unwahrscheinlich, dass der Ankläger in der Situation Verfahren einleiten möchte. Presseberichten zufolge “vorermittelt” er bereits.

Ob der Elfenbeinküste damit geholfen ist, bleibt dahingestellt. Für eine innerstaatliche Aussöhnung mag hier der nationale Rechtsweg der sinnvollere sein, gerade auch, weil die Lage sich beruhigt hat – anders als in Darfur oder in Libyen.

Damit ist eine Sicherheitsratsüberweisung nicht erforderlich und nicht wahrscheinlich.

Der Chefankläger des IStGH hat bekannt gegeben, dass auch Vorwürfe wegen sexueller Gewalt in Libyen geprüft werden, das berichten Spiegel Online und die NZZ. Gaddafi habe nicht nur seinen Soldaten Massenvergewaltigungen befohlen, sondern darüber hinaus auch Potenzmittel an die Soldaten verteilt. Diese Vorwürfe sollen wohl Grundlage für eine zweite „Anklage” gegen Gaddafi sein (so berichtet Spiegel Online). Möglicherweise wird der Ankläger in der zweiten Anklage nicht mehr nur Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern auch Kriegsverbrechen anklagen – eine überfällige Entscheidung.

Berichtet wird weiterhin, dass der Ankläger bereits in den nächsten Tagen eine Entscheidung über den ersten Haftbefehlsantrag erwarte.

Die Darfur-Situation steht still. Derzeit befindet sich kein Verdächtiger oder Angeschuldigter in Den Haag. Vielmehr sind die per Haftbefehl gesuchten Personen noch immer auf freiem Fuß und begehen weitere Verbrechen. Am prominentesten ist der Fall al-Bashir. Der wegen des Verdachts auf Völkermord gesuchte Präsident des Sudan ist nicht nur weiter im Amt, sondern behindert die Arbeit des IStGH wo immer er nur kann. Darüber hinaus reist al-Bashir unbehelligt durch Afrika und genießt eine breite Unterstützung anderer Staatsoberhäupter.

Angeregt durch diese Missachtung des IStGH plädiert David Kaye für eine Neuausrichtung des IStGH. Kaye, Direktor des International Human Rights Programs der UCLA, nimmt die für 2012 vorgesehene Neubesetzung des Chefanklägerpostens zum Anlass, seine Sorgen über die Zukunft des IStGH zu äußern (Who´s afraid of the International Criminal Court? in: Foreign Affairs 90 [2011], S. 118 ff.). Seine Bedenken gelten nicht nur der Darfur-Situation sondern der gesamten Arbeit des IStGH: Trotz neun Jahre und fast einer Milliarde Dollar ist noch kein einziger Prozess zum Abschluss gekommen.

David Kayes Kritik

Beachtenswert sind vor allem die folgenden kritischen Aspekte in Kayes Kritik.

David Kaye vermisst eine klare Ausrichtung der Anklagebehörde auf die Strafverfolgung – ein hartes Urteil über eine Strafverfolgungsbehörde. Der derzeitige Amtsinhaber sei, so Kaye, vielmehr auf öffentlichkeitswirksame Maßnahmen aus (Haftbefehl gegen al-Bashir). Moreno Ocampos Amtszeit sei schon jetzt von „micro-managing and erratic decision-making“ gekennzeichnet. Er verstricke sich in Rangeleien um Kompetenzen mit den Kammern des Gerichtshofs; damit werden Spannungen innerhalb des IStGH deutlich, der doch eigentlich als einheitliche Front gegen Völkerstraftäter auftreten sollte.

Den Haftbefehl gegen al-Bashir hält Kaye für eine Fehlentscheidung. Nicht nur sei der Antrag nur ergangen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Es wäre auch sinnvoller gewesen, zuerst einige Fälle gegen Personen auf unteren Kommandoebenen durchzuführen. Dann habe man eine breitere, gesicherte Basis um gegen höhere Befehlshaber vorzugehen. Weiterhin habe der Ankläger riskiert, dass der Haftbefehl nicht vollstreckt wird und so zunächst die Effektivität beeinträchtigt und danach die Glaubwürdigkeit und den Ruf des IStGH aufs Spiel gesetzt wurden. Der IStGH erweisst sich, mit einigen unvollstreckten (oder unvollstreckbaren?) Haftbefehlen eben als der Papiertiger, den Befürworter der IStGH fürchten und Kritiker des IStGH herbeisehnen.

Dem Ankläger ist aber zugutezuhalten, dass al-Bashir wohl in der geheimen Liste von 51 Verdächtigen steht, die die Untersuchungskommission der Vereinten Nationen schon 2005 an den IStGH übergeben hat. Kaye übersieht diesen Punkt in seiner Kritik.

Auf die Liste kommt Kaye dennoch zu sprechen; er nutzt sie als weiteren Angriffspunkt gegen Moreno-Ocampo. Kaye kritisiert, zu Recht, dass erst gegen fünf Personen Verfahren vor dem IStGH geführt werden und dass das Verfahren gegen Abu Garda im Vorverfahren eingestellt wurde (vgl. Analyse Nr. 5). Der Ankläger kennt aber seit 2005 mindestens 45 weitere Personen, gegen die ermittelt werden kann. Warum gegen diese nicht ermittelt wird, ist nicht auszumachen; es mag aber an den begrenzten Ressourcen des Gerichtshofs liegen.

Die Wirkungslosigkeit des IStGH sei aber nicht nur dem IStGH und dem Ankläger zu verdanken. Ebenso in der Pflicht sieht Kaye den Sicherheitsrat. Dieser hat die Darfur-Situation an den IStGH überwiesen und damit zumindest politisch Verantwortung übernommen – auch für die Zukunft des Verfahrens. Für eine effektive internationale Strafverfolgung ist die Hilfe des Sicherheitsrates unerlässlich: Haftbefehle könnten vollstreckt werden, wenn der Sicherheitsrat solchen Staaten mit Sanktionen drohen wurde, die die Haftbefehle des IStGH missachten und Verdächtige frei ein- und ausreisen lassen. Über die Darfur-Situation hinaus gelte dies, so Kaye, auch für alle anderen anhängigen Situationen vor dem IStGH.

Verschlechterung der Lage durch Überweisung der Libyen-Situation?

Nur zwischen den Zeilen gibt Kaye zu verstehen, dass die Überweisung der Libyen-Situation die Lage verkomplizieren wird.

Den Antrag auf den Erlass von Haftbefehlen in der Libyen-Situation hält David Kaye für einen Fehler. Nicht nur, dass der Ankläger die Situation erst ausermitteln sollte, er sollte vor allem nicht schon wieder an der Spitze der Befehlskette anfangen und Muammar al-Gaddafi vor den IStGH stellen wollen. Der IStGH sei schlicht überfordert, wenn er gegen zwei amtierende Staatsoberhäupter gleichzeitig ermittelt.

Kaye bemängelt, dass im Verfahren gegen Thomas Lubanga Dyilo verpasst wurde, die Anklage möglichst breit zu streuen und viele mögliche Punkte anzuklagen. In diesem Verfahren vermisse er vor allem Anklagepunkte wegen sexueller Gewalt und geschlechterspezifischen Verbrechen.

Die Kritik gilt, das sagt Kaye nicht, auch für den ersten Haftbefehlsantrag in der Libyen-Situation. Auf dieser Website wurde bereits verschiedentlich darauf hingewiesen, dass in Libyen nicht nur Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern auch Kriegsverbrechen in Betracht kommen. Der Ankläger hat seinen Antrag von Mai 2011 aber ausdrücklich nicht auf die Begehung von Kriegsverbrechen erstreckt. Warum er eine solche Beschränkung vornimmt, obwohl er inzwischen die Existenz eines bewaffneten Konflikts anerkennt, bleibt für mich unverständlich. Dank der Beschränkung muss sich die Anklage nunmehr auf den Begehungszusammenhang bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit konzentrieren – wie die Kenia-Situation zeigt, wird dies nicht einfach werden (vgl. Analysen Nr. 9 und 10, Analyse Nr. 11 mit weiteren Ausführungen zu diesem Problem erscheint demnächst).

Was ist von der Kritik zu halten?

Was ist von der Kritik zu halten? Kaye hat in vielen Punkten Recht, so sind insb. nicht alle Schritte der Anklagebehörde nachzuvollziehen. Allerdings muss man dem IStGH anrechnen, dass er gegen viele Widerstände zu kämpfen hat und eben nicht dafür verantwortlich gemacht werden kann, nicht die volle Unterstützung der Staatengemeinschaft zu haben. Insbesondere der Sicherheitsrat ist immun gegen Kritik von Außen. Im Interesse der effektiven Strafverfolgung dürfte es aber liegen, sich zunächst auf low-profile Täter zu konzentrieren, bevor aufgrund auch der dort ermittelten Sachverhalte die Spitze der Befehlskette angegangen wird. Auch darf nicht vergessen werden, dass der Ankläger nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung hat um sechs Konflikte aufzuarbeiten, von denen er fünf überwiesen bekommen und sich nur eine „selbst ausgesucht“ hat. Insofern sind wohl die Staaten und der Sicherheitsrat in der Pflicht, bevor dem Ankläger die Schuld an mangelndem Erfolg gegeben werden kann.

Auf der Website von Foreign Affairs sind zwei Kurzanalysen erschienen, die sehr empfehlenswert sind. Zum einen berichtet Andrew Natsios, ehemaliger US-amerikanischer Sonderbeauftragter für den Sudan, von der aktuellen Lage im (Süd-)Sudan und wie der Konflikt dort den Konflikt in Libyen beeinflussen kann. Natsios zufolge könnte Omar al-Bashir sich auf die Seite der Gegner von Gaddafi schlagen und so zum wirklich unwillkommenen Verbündeten der NATO werden.

Zum anderen gibt sich David Kaye pessimistisch, was den Erfolg der ersten drei möglichen Haftbefehle in der Libyen-Situation angeht (mehr dazu in Analysen Nr. 10 und 11 in der Datenbank).