Thomas Darnstädt von SPIEGEL Online hat einen interessanten Beitrag zur Frage “Libyen und das Völkerrecht” verfasst, in dem auch die Professoren Claus Kreß und Kai Ambos zu Wort kommen.
Im Angesicht des bevorstehenden (?) Sieges der libyschen Rebellen wollen zahlreiche Staaten die eingefrorenen Gelder Gaddafis an den Übergangsrat auszahlen bzw. zu dessen Verfügung freigeben. So berichtet SPIEGEL Online dass die Sicherheitsrats-Delegation der USA auf eine Freigabe der Gelder drängt, während die Südafrikaner eine Anerkennung des Übergangsrates durch die Afrikanische Union abwarten wollen.
Da die Sicherheitsratsresolutionen 1970und 1973 weiter bestehen, ist jede Auszahlung des libyschen Auslandsvermögens oder Gaddafis Auslandsvermögens völkerrechtswidrig. Erst wenn der Sicherheitsrat die Gelder auftaut, darf wieder auf sie zugegriffen werden.
Dann stellen sich aber andere Probleme:
Erstens, solange es sich um staatliches Auslandsvermögen handelt kann der Übergangsrat erst darauf zugreifen, wenn er den libyschen Staat repräsentiert. Solange das Gaddafi-Regime aber als libysche Regierung anerkannt ist, ist der Zugriff der Übergangsrates gesperrt. Und wer derzeit für das Völkerrechtssubjekt Libyen spricht ist alles andere als klar. Je nach Gesprächspartner sind entweder das Gaddafi-Regime oder der Übergangsrat Repräsentanten. Nur wer den Übergangsrat anerkannt hat, darf in diesem den völkerrechtlichen Repräsentanten Libyens sehen. Die Anerkennung kann allerdings auch in einer Zahlung der eingefrorenen Gelder an den Übergangsrat liegen (konkludente Anerkennung).
Zweitens, solange es sich um Gaddafis Privatvermögen handelt wird die Rechtslage schwierig (Dass beide Vermögensmassen nicht oder nur schwer zu trennen sind, sei dahingestellt). Der Sicherheitsrat darf sicher nicht über die Verschiebung von Privatvermögen entscheiden, er hat dazu schlicht keine Kompetenz. Und um nichts anderes handelt es sich, wenn der Sicherheitsrat das Vermögen der Familie Gaddafi antastet. Selbst wenn die Familie das Geld dem libyschen Staatn gestohlen hat, darf der Sicherheitsrat dies nicht rückgängig machen. Diese Aufgabe obliegt in einem Rechtsstaat den Gerichten. Die deutschen Delegation in New York sollte dies im Hinterkopf behalten.
Update 26.8.: SPIEGEL Online berichtet über eine Freigabe der Gelder. Allerdings finde ich keine Meldung darüber, dass der Sicherheitsrat oder der 1970-Sanktionsausschuss diese Freigabe gebilligt hat (so auch FAZ 26.8. S. 2 und die Presseerklärung der VN). Die Tendenz geht aber klar in Richtung Freigabe durch die VN.
Der Kollege Brunner aus Hannover hat sich auf www.legaltribuneonline.de zum Problem des Bundeswehreinsatzes in Libyen geäußert.
Die Lage in ganz Libyen ist undurchsichtig…In ganz Libyen? Nein! Denn neben den offenen Fragen (Wo ist Gaddafi? Was ist genau mit seinen Söhnen passiert? Wer kontrolliert welche Teile von Tripolis?) ist eine Frage nunmehr geklärt: Das Verschmelzen von Bürgerkrieg und internationalem Konflikt zu einem einzigen Libyen-Krieg.
Bislang musste man davon ausgehen, dass in Libyen zwei Konflikte vorlagen: Zum einen der nicht-internationale bewaffnete Konflikt zwischen den Rebellen und der Regierung (vulgo: Bürgerkrieg) und zum anderen der internationale bewaffnete Konflikt zwischen der libyschen Regierung und den Staaten, die von der Ermächtigung aus Res. 1973 (2011) des Sicherheitsrates zum Krieg gegen Libyen Gebrauch gemacht haben (näheres hier).
Verschmelzen der Konflikte
Verschiedene Medien berichten nun ganz offen, dass die Staaten gemeinsam mit den Rebellen gegen das Gaddafi-Regime vorgehen. Deutlich wird dies bei SPIEGEL ONLINE („Nato ebnete Rebellen den Weg“). Solche Berichte hat es in der Vergangenheit immer gegeben. Jetzt ist es aber nicht mehr zu leugnen: Wenn die Rebellen Gaddafis Palast in Libyen angreifen und dabei von der Luftunterstützung der Staaten profitieren, dann arbeiten sie zusammen. In diesem Fall schlagen sich die Staaten auf die Seite der Rebellen. Damit stehen sich auf beiden Seiten Völkerrechtssubjekte gegenüber und damit verschmelzen die beiden Konflikte zu einem.
Welche Bedeutung hat das? Vor allem kommt jetzt ein anderer Katalog von Kriegsverbrechen in Betracht. In Zukunft sind dies nicht mehr nur die Kriegsverbrechen in einem Bürgerkrieg, sondern die eines internationalen Konfliktes. Wichtig ist dies, weil im Bürgerkrieg weniger Straftatbestände existieren als im internationalen Konflikt.
Res. 1970, 1973 (2011) als Blaupause für die Zukunft?
Zu befürchten ist – wenn denn der Krieg in den nächsten Tagen oder Wochen zu Ende gehen sollte – dass willige Staaten sich in Zukunft ein Beispiel am Vorgehen gegen Libyen nehmen werden.
Anders als in Afghanistan oder im Irak sind eben kaum internationale Bodentruppen im Kriegsland (außer den zur Zielmarkierung erforderlichen Einsatzkräften). Vielmehr nutzt die Allianz ihre Luftüberlegenheit. Die Staaten müssen im Libyen-Krieg wesentlich weniger Kosten vor ihren Bevölkerungen rechtfertigen: Sowohl weniger Menschenleben auf der eigenen Seite als auch weniger finanzielle Ressourcen.
Die militärischen Maßnahmen sind völkerrechtlich zulässig (dazu mehr hier). Sie sind zwar ausdrücklich auf den Schutz von Zivilpersonen beschränkt, aber wenn eine Regierung Krieg gegen das eigene Volk führt, dann führt der Sturz dieser Regierung eben zum Schutz der Zivilbevölkerung (zumindest in der Theorie, ein Gegenbeispiel bildet vor allem der Irak).
Trotzdem ist/wird das erklärte Ziel erreicht: Das Regime fällt.
Man kann nun das Vorgehen der Allianz als genuin altruistisch betrachten, oder den Staaten Böses unterstellen. Es bleibt abzuwarten, welches Beispiel die Res. 1970, 1973 (2011) setzen.
Wie bereits überall zu lesen ist, haben die libyschen Rebellen eigenen Angaben zufolge Tripolis erobert und stehen kurz davor, das Gaddafi-Regime zu stürzen. Saif-al-Islam, de-facto-Ministerpräsident, soll festgenommen worden sein (wie auch immer diese Festnahme rechtlich zu qualifizieren ist). Muammar al-Gaddafi ist verschwunden.
Sollte das Regime wirklich fallen, und sollten die drei per Haftbefehl gesuchten Personen gefunden werden, dann erleichtert dies natürlich die Strafverfolgung vor dem IStGH. Dann ist damit zu rechnen, dass die Verdächtigen von den Rebellen nach Den Haag überstellt werden.
Es bleibt abzuwarten, ob/wie wahr die Erfolgsmeldungen der Rebellen sind.
Anna Dolidze, Mitglied der American Society of International Law, hat eine Analyse zu den Entscheidungen des Afrikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Bezug auf Libyen geschrieben (African Court on Human and Peoples’ Rights – Response to the Situation in Libya, ASIL insights, vol. 15, No. 20 vom 26. Juli 2011, hier abrufbar). Sie befasst sich vor allem mit den verschiedenen Akteuren, die in Afrika und speziell in Libyen zur Wahrung der Menschenrechte berufen sind.
Insbesondere lohnenswert sind die Ausführungen zu den unterschiedlichen Institutionen. Erstaunlicherweise ist das Völkerrecht in Afrika immer noch ein Bereich, den die internationale Literatur kaum zur Kenntnis nimmt – solange es nicht um Krieg geht (apropos: wann erscheint endlich Andreas Zimmermanns Buch ‚Africa and International Law’?).
Einen zweiten Schwerpunkt setzt die Autorin bei dem Verfahren gegen Libyen. Sie berichtet, wie die Entscheidungen des Gerichtshofs zustande gekommen ist. Dabei betont Dolidze, wie sehr sich Libyen gegen jede Einmischung verwahrt und die Beschlüsse des Gerichtshofs umgeht.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat am Montag Berichte der truppenstellenden Staaten der United Nations – African Union Hybrid Mission in Darfur gehört. Leider sind weder die Stellungnahmen noch etwaige Ergebnisse öffentlich zugänglich.
Manuel Brunner, Mitarbeiter der Universität Hannover, hat sich in einem Bofax der Universität Bochum zu der neuen Friedensmission im Südsudan geäußert. Dabei bleibt Manuel skeptisch, ob die UNMISS Erfolg haben wird. So würden insb. die bisherigen Beispiele von ähnlichen Friedensmissionen in Afrika wenig Grund zur Hoffnung geben. Angesichts der vielen Friedenstruppen in der Region und der Anteilnahme der Staatengemeinschaft an der Geburt des Südsudans sehe ich die Lage optimistischer. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Weltöffentlichkeit den Südsudan nicht wieder vergißt und weiterhin in der Konfliktlösung engagiert bleibt.
Der Sudan hat angekündigt, allen auf seinem Gebiet lebenden Südsudanesen die sudanesische Staatsangehörigkeit zu entziehen. Das war bereits für den Fall eines erfolgreichen Referendums angekündigt worden. Den Erfolg des Referendums kann man seit Samstag sehen – oder hier und hier und hier.
Der Entzug bietet die Gelegenheit, über ein paar Dinge zu sprechen.
Die Staatsangehörigkeit im Völkerrecht
Der Sudan ist, wie jeder Staat der Welt, grundsätzlich frei, über die Verleihung oder den Entzug seiner Staatsangehörigkeit zu entscheiden. Die Frage gehört zum Kernbereich seiner Souveränität und wird durch das Völkerrecht nicht beeinflusst. Einzig soll vermieden werden, dass Individuen staatenlos werden.
Da die Südsudanesen, die bislang die sudanesische Staatsangehörigkeit haben und vom Entzug betroffen sind, aber die neue südsudanesische Staatsangehörigkeit erhalten haben (davon gehe ich nach dem Bericht in der FAZ aus), werden diese aber gerade nicht staatenlos.
Genuine link?
Das Kriterium des sogenannten „genuine link“ ist für die Verleihung und den Entzug der Staatsangehörigkeit gerade keine Voraussetzung, auch wenn das häufig berichtet wird.
Das Merkmal „genuine link“ hat der Internationale Gerichtshof (IGH) im Nottebohm-Fall „entwickelt“. In dem Fall ging es um folgendes:
Herr Nottebohm war Angehöriger des deutschen Reichs. Er wanderte kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert nach Guatemala aus. Deutschland besuchte er in der Folge kaum noch. Er befand sich Ende 1939 in Hamburg und fuhr für einen Kurzbesuch zu seinem Bruder, der nicht mehr in Deutschland, sondern in Liechtenstein lebte. Herr Nottebohm entsagte dort seiner deutschen Staatsangehörigkeit und nahm, gegen die Zahlung einer Gebühr, die liechtensteinische Staatsangehörigkeit an.
Im Jahr 1941 erklärte Guatemala Deutschland den Krieg. In der Folge enteignete das Land alle deutschen Staatsangehörigen, auch Herrn Nottebohm, sie waren nunmehr schließlich Angehörige des Feindes. (Gerüchten zufolge erklärte Guatemala Deutschland wegen Herrn Nottebohms Vermögen den Krieg, denn dieser war inzwischen reich geworden. Ob die Gerüchte stimmen, kann ich nicht beurteilen, sie geben dem Sachverhalt aber Pfiff.)
Liechtenstein klagte gegen Guatemala und übte diplomatischen Schutz zugunsten seines Staatsangehörigen aus.
Der IGH wies die Klage ab und begründete seine Entscheidung mit dem „genuine link“: Diplomatischer Schutz sei eben nur zulässig, wenn zwischen dem Staatsangehörigen und dem Staat, der ihn im internationalen Verkehr vertreten möchte, eine hinreichend gefestigte Beziehung bestünde. Der Aufenthalt des Bruders Nottebohm und der Kauf der liechtensteinischen Staatsangehörigkeit reichten dafür nicht aus.
Allerdings sagte der IGH eben deutlich, dass dieses Kriterium nur für die Ausübung diplomatischen Schutzes existiert. Einen Einfluss auf Verleihung oder Entzug der Staatsangehörigkeit hat es nicht, vielmehr bleibt die Frage der Staatsangehörigkeit eine Frage des nationalen Rechts.
Damit ist auch für den Sudan ohne Belang, wie sehr die Südsudanesen sich noch als Sudanesen fühlen.
Kriterien zum Entzug der Staatsangehörigkeit
Interessant ist, an welches Kriterium der Sudan bei dem Entzug anknüpft. Die Frage, wer Südsudanese ist, dürfte schwer zu klären sein. Alle Anknüpfungspunkte, die man sich vorstellen kann, wären wohl ein klarer Verstoß gegen Menschenrechte: In Betracht kamen die Religion oder die ethnische Zugehörigkeit. Der Sudan macht es sich aber einfach und sieht als Südsudanesen alle an, die eine Abstimmungskarte für das Unabhängigkeitsreferendum beantragt hatten. Das ist zulässig und konsequent. Denn an dem Referendum dürften nur Südsudanesen teilnehmen. Wer sich zu diesem Zeitpunkt als Südsudanese empfand, soll sich damit wie einer verhalten und auch Südsudanese auf dem Papier werden.
Bitter ist dies für Wähler, die gegen die Unabhängigkeit gestimmt haben. Zugegeben, es waren nur wenige, aber diese dürften umso mehr enttäuscht sein und jede Restloyalität gegenüber dem Sudan verloren haben.
(Quelle: FAZ vom 15. Juli 2011, S. 5).
Am Donnerstag hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen den Südsudan in die Organisation aufgenommen. Nicht einmal eine Woche ist der Staat alt und schon voll in die internationale Gemeinschaft integriert. Mir ist kein Fall bekannt, indem ein Staat schneller in die VN aufgenommen wurde.