Al Jazeera hat am 24. Dezember den Tod von Khalil Ibrahim gemeldet (hier). Ibrahim war Anführer des Justice and Equality Moments (JEM), einer der großen Rebellenfraktionen in Darfur (hier). Ein Profil von Ibrahim, der übrigens ein entfernter Verwandter des Präsidenten des Tschad, Idriss Deby, war, finden Sie auf den Seiten von Al Jazeera (Profil).
Am Donnerstag hat der Chefankläger des IStGH dem Sicherheitsrat seinen regelmäßigen Bericht über den Stand der Darfur-Situation vor dem IStGH erstattet.
Neuer Verdächtiger
Zu Beginn berichtet der Ankläger davon, dass ein Haftbefehl gegen einen weiteren Verdächtigen beantragt worden sei. Der derzeitige Verteidigungsminister des Sudan Abdel Raheem Muhammad Hussein stehe unter Verdacht, zu Beginn des Krieges Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit befohlen zu haben. Die Vorwürfe deckten sich dabei mit denen gegen Ahmed Harun und Ali Kushayb (vgl. Analyse Nr. 2).
Hussein war zu Beginn des Darfur-Kinfliktes Innenminister des Sudan und Sonderrepräsentant des Präsidenten in Darfur, ausgestattet mit allen präsidialen Kompetenzen. Einige dieser Kompetenzen soll Hussein an Harun delegiert haben. Hussein sei somit verantwortlich für die Taten des Sicherheitsapparates in Darfur.
Es ist zu begrüßen, dass der Ankläger einen weiteren Verdächtigen, der noch immer in Regierungsverantwortung steht, benannt hat und ein Verfahren gegen diesen anstrengt. Weniger begrüßenswert ist es, dass der Antrag ausdrücklich auch ergeht, um die sudanesische Zentralregierung dazu zu bewegen, Ahmed Harun zu verhaften und an den IStGH auszuliefern.
Stand der laufenden Verfahren
Das Verfahren gegen Banda und Jerbo werde derzeit weiter vorbereitet. Als möglichen Termin für den Start der mündlichen Verhandlung nannte der Ankläger die erste Jahreshälfte 2012. Allerdings habe man sich auf einige wenige Punkte geeinigt, die verhandelt werden sollen. Es geht dabei vor allem um den Angriff auf einen Stützpunkt der AU in Haskanita im September 2007. Sollte der Gerichtshof feststellen, dass die AMIS sich rechtmäßig in Darfur aufgehalten haben, dann sei der Angriff unrechtmäßig – die Verdächtigen stellen in Aussicht, sich in diesem Fall schuldig zu bekennen. Der Ankläger nimmt leider keine Stellung zum Verfahrensstand der anderen Fälle. Dies ist misslich, müssen diese Verfahren doch auch vorangetrieben werden.
Überwachung der Situation in Darfur
Allem voran überwache die Anklagebehörde die Tätigkeiten des Verteidigungsministeriums und dessen Chef. Es bestehe weiterhin die Gefahr, dass dieser seine Position ausnutze, um Verbrechen zu begehen. Daneben bestehe der Verdacht auf Verbrechen gegen humanitäre Helfer in Darfur und auf den Einsatz von Kindersoldaten.
Seine tiefe Besorgnis drückt der Ankläger auch über Vorfälle aus, in denen Zivilisten direkt angegriffen wurden. Nach humanitärem Völkerrecht ist dies grundsätzlich verboten und streng zu ahnden. Insoweit ist dem Ankläger zuzustimmen.
Verstoß gegen Kooperationspflichten
Anfang dieser Woche hat die Vorverfahrenskammer I des IStGH festgestellt, dass sowohl Malawi (hier) als auch der Tschad (hier) gegen ihre Kooperationspflichten verstoßen hätten, indem sie Omar al-Bashir bei dessen Besuch in ihren Staaten nicht festgenommen und an den IStGH überstellt hätten. Eine gewohnheitsrechtliche Ausnahme von der Immunität amtierender Staatsoberhäupter bestehe nicht. Diese Entscheidung ist im Ergebnis zu begrüßen. Denn auf jeden Fall hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine etwaige Immunität al-Bashirs durch die Überweisungsresolution 1593 (2005) aufgehoben. Allerdings ist fraglich, ob eine solche Immunität wirklich besteht (zur näheren Begründung s. meine Ausführungen hier auf S. 791).
Die Staatenwerdung des Südsudan hat die Staatengemeinschaft begleitet. Dazu gehört auch die “UN Interim Security Force for Abyei“,kurz UNISFA, die die umstrittene Region Abyei schützen soll. Das Mandat der UNISFA aus der Sicherheitsratsresolution 1990 (2011) vom 27.6.2011 umfasst vor allem dieÜberwachung der Entmilitarisierung von Abyei, die Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden und den Schutz der Erdölförderanlagen (näheres hier).
Ende November hat der VN-Generalsekretär dem Sicherheitsrat Bericht über die Situation erstattet (S/2011/741 vom 27.11.2011, hier). Die Situation in Abyei sei stabil, aber unvorhersehbar. Zwar sei die Region weitestgehend demilitarisiert, was auch den regelmäßigen Patrouillen der UNISFA zu verdanken sei. Aber vereinzelt sind Soldaten der SLPA und Einheiten der südsudanesischen Polizei dort zu finden. Gerade jetzt, wo die Rückkehr der Vertriebenen eingesetzt habe, stelle die Präsenz der Soldaten und Polizisten aber ein Risiko dar. Noch immer sträubten sich die Parteien des Konflikts, der Sudan und Südsudan, das Abkommen vom 20.6.2011 über Abyei zu implementieren. Von einer gemeinsamen Übergangsverwaltung sei man weit entfernt. Die humanitäre Situation der mehr als 110.000 Flüchtlingen habe sich ebenfalls stabilisiert. Der Generalsekretär empfahl abschließend, das Mandat der UNSIFA um weitere sechs Monate zu verlängern.
Der Sicherheitsrat hat daraufhin das Mandat der UNISFA ausgeweitet. Nunmehr ist die Schutztruppe auch zur Überwachung einiger anderer Abkommen zuständig, die die beiden Konfliktparteien seit dem Erlass der Res. 1990 (2011) geschlossen haben. Ausdrücklich verlängert hat der Sicherheitsrat das Mandat nicht. Da aber das Mandat ausgeweitet wurde, kann es nur bedeuten, dass der Sicherheitsrat die Verlängerung auf unbestimmte Zeit beschlossen hat. Rechnet der Sicherheitsrat also mit langer Präsenz der UNISFA in Abyei?
SR Res. 2024 (2011) vom 14.12.2011
Um die genauen Umstände des Todes von Muammar al-Gaddafi herrschen nach wie vor Unklarheiten. Der Chefankläger des IStGH hat nunmehr auf einer Pressekonferenz angekündigt, in diesem Vorfall zu ermitteln. An dieser Stelle ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden, dass eine solche Ermittlung wünschenswert und notwendig ist (zuletzt hier, davor hier und hier). Die Ankündigung des Anklägers ist damit zu begrüßen.
Am Sonntag wurde Saif-al-Islam al-Gaddafi, einer der drei Verdächtigen in der Libyen-Situation, von den Behörden der Übergangsregierung festgenommen. Fest steht, dass er sich vor einem Gericht verantworten muss. Offen ist, ob dieses Gericht ein libysches Gericht sein wird oder ob der IStGH den Fall verhandeln wird. Dazu hat der IStGH die Kompetenz – nicht aber den Vorrang. Dieser bleibt bei Libyen. Nur wenn die libschen Gerichte nicht willens oder nicht in der Lage sind, den Fall nach rechtsstaatlichen Grundsätzen zu verhandeln, ist der IStGH subsidiär zuständig. Dies ist Folge des Grundsatzes der Komplementarität (Art. 17 IStGH-Statut), der Grundlage des IStGH-Systems ist.
Fraglich ist, ob die libyschen Behörden in der Lage sind, ein solches Verfahren durchzuführen. Die Antwort müssen die Organe des IStGH finden, vor allem der Ankläger, der die Vorverfahrenskammer I davon überzeugen muss, dass der Fall vor dem IStGH zulässig ist. (Ganz davon abgesehen, ob der Ankläger den Fall nicht lieber an die libyschen Behörden abgeben möchte.)
Zweifel an der Rechtsstaatstreue zumindest einiger Angehöriger der Übergangsregierung sind angebracht. Nach den noch immer ungeklärten Umständen des Todes von Muammar al-Gaddafi (hier und hier) ist das Verfahren gegen ihn vor dem IStGH zu einem Ende gekommen. Die Vorverfahrenskammer I hat das Verfahren am 22.11.2011 eingestellt (hier). Offensichtlich hat die Sterbeurkunde, die der libysche Übergangsrat nach Den Haag geschickt hat, den Ankläger und die Kammer davon überzeugt, dass Gaddafi wirklich tot ist und sich nicht an einem unbekannten Ort versteckt hält.
Man kann der Entscheidung zustimmen. Gaddafi ist tot und damit ist jede strafrechtliche Überprüfung seiner Taten hinfällig. Das ist keine Besonderheit des Völkerstrafrechts, sondern gute rechtsstaatliche Tradition: Auch im deutschen Recht wird ein Verfahren gegen Tote nicht geführt.
Zu erwähnen bleibt nur, dass der IStGH trotz der Einstellung des Verfahrens gegen Gaddafi selbstverständlich für die Umstände seines Todes zuständig bleibt. Dieser Vorfall kann in Den Haag verhandelt werden. Dass dafür Bedarf besteht, ist hier und hier deutlich gemacht worden.
In der aktuellen Ausgabe des Archivs für Völkerrecht ist ein Aufsatz von mir zur Überweisung der Lage in Libyen an den IStGH erschienen (Die Überweisung der Lage in Libyen an den Internationalen Strafgerichtshof durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen – zugleich ein Beitrag zur Völkerstrafrechtspraxis des Sicherheitsrates, S. 276-309).
Angeblich soll den Personen, die Muammar al-Gaddafi getötet haben, der Prozess in Libyen gemacht werden, das berichtet Spiegel Online. Saif-al-Islam, der mit einem Haftbefehl des IStGH gesuchte Sohn des toten Diktators, soll sich angeblich stellen wollen (ebenfalls Spiegel Online).
Beides wäre zu begrüßen. Saif-al-Islam gehört vor den IStGH. Das ist nach dem Haftbefehl eindeutig.
Nachdem die Übergangsregierung sich zunächst geweigert hatte, den Tod Muammar al-Gaddafi zu untersuchen, scheinen sich jetzt rechtsstaatliche Überzeugungen durchgesetzt zu haben. Der Tod Gaddafis war allem Anschein nach ein Kriegsverbrechen (hier). Ein solches gehört untersucht. Berechtigt dazu ist in erster Linie der Tatortstaat, also Libyen selbst. Die libyschen Strafverfolgungsbehörden haben, soweit sie noch existieren, jede Kompetenz, den Tod strafrechtlich aufzuarbeiten. Allerdings ist durch die Überweisung der Situation an den IStGH (vgl. Analyse Nr. 9) auch Den Haag zur Strafverfolgung berechtigt. Dies gilt nicht nur für die Taten des Gaddafi-Regimes, sondern auch für Verbrechen von Seiten der Rebellen. Und ein solches Verbrechen scheint allem Anschein nach der Tod Muammar al-Gaddafi zu sein.
Ebenso darf auch Den Haag aufklären, was hinter anderen Vorfällen steckt, die von einer rechtswidrigen Kriegführung der Rebellen zeugen sollen (vgl. den Bericht von Human Rights Watch über 53 Tote in einem Hotel).
Dabei gilt: Den Haag ist nur zur Strafverfolgung berechtigt, soweit nationale Strafverfolgungsbehörden nicht willens oder nicht in der Lage sind, ein rechtsstaatliches Verfahren durchzuführen. Dieser so genannte Grundsatz der Komplementarität ist ein Grundpfeiler der Strafjustiz des IStGH.
Der Sicherheitsrat hat sich nach langer Pause erneut mit der Situation in Darfur befasst (Pressemitteilung über die Sitzung).
Der Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen für Peacekeeping-Operationen, hat den Sicherheitsrat am Dienstag über die Fortschritte informiert. Er bezog sich vor allem auf den Friedensvertrag von Doha vom Juli 2011. Die Zentralregierung des Sudan hat mit dem Liberation and Justice Movement (LJM) den Wiederaufbau staatlicher Strukturen unter Teilnahme der Rebellen vereinbart. Dieser Aufbau gehe gut voran, auch dank der Hilfe der internationalen Gemeinschaft und UNAMID. Dennoch komme es vereinzelt zu Gefechten zwischen Soldaten und Rebellen. Bei einem Gefacht wurden am 10. Oktober drei Soldaten der UNAMID getötet.
Der sudanesische Vertreter bei den VN, der bei der Sitzung am Dienstag anwesend war, berichtete von den Anstrengungen seiner Regierung. So seien zwei Milliarden US-Dollar für Darfur bereitgestellt worden. Zu bedauern seien aber die weitreichenden Verschwörungen, die den Sturz der Zentralregierung in Khartum herbeiführen möchten. Er verwies insbesondere auf das Sudan People’s Liberation Movement – Northern Sector – eine Abspaltung der damaligen SPLM/A, die heute die Regierung im neuen Staat Südsudan stellt (siehe auch hier und hier und vor allem hier).
Ob sich damit die Lage langfristig beruhigt, bleibt zweifelhaft. So ist insb. die Teilnahme von nur einer Rebellenorganisation nicht ausreichend, um die Interessen aller am Konflikt beteiligten Parteien in einem umfassenden Friedensabkommen zu berücksichtigen.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat sich gestern (erneut) dazu bereit erklärt, das Flugverbot über Libyen aufzuheben (Pressemitteilung über die Sitzung). Die Mitglieder möchten eine offizielle Bitte der libyschen Regierung abwarten und erst dann entscheiden, ob Ende Oktober das Flugverbot fällt. Ähnliches soll für die Autorisierung zu militärischen Maßnahmen gelten.
In der Res. 2009 (2011) von Mitte September war noch in Aussicht gestellt worden, diese Maßnahmen Ende des Jahres aufzuheben. Da das Gaddafi-Regime wohl endgültig beseitigt ist, besteht aber wohl kein Bedarf mehr nach diesen weitreichenden Maßnahmen.
Laut Spiegel Online ist die Aufhebung der Flugverbotszone bereits beschlossen worden. Leider gibt die Meldung keine Resolutionsnummer an und auf der Sicherehitsratshomepage ist bislang kein entsprechender Beschluss vorhanden. Vielleicht haben sich die Verfasser nur geirrt?
Update 1.11.: Der Sicherheitsrat hat die Maßnahmen gegen Libyen mit Res. 2016 (2011) am 27. Oktober aufgehoben. Eine genauere Analyse folgt.
Die Resolution 2009 (2011) des Sicherheitsrates vom 16. September 2011 hebt einige der Maßnahmen gegen Libyen auf. Nicht aufgehoben ist die Ermächtigung, mit militärischen Mitteln den Schutz der Zivilbevölkerung zu erreichen. Dies verwundert.
Nunmehr meldet Spiegel Online dass die libysche Übergangsregierung die NATO offiziell darum gebeten habe, den Militäreinsatz bis Ende des Jahres fortzuführen.
Ende des Jahres muss der Sicherheitsrat erneut über die Maßnahmen gegen Libyen abstimmen, so sieht es die Res. 2009 (2011) vor.
Die Frage der Fortführung des Militäreinsatzes ist in erster Linie eine politische. Eine völkerrechtliche Frage ist es jedoch, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 39 VNCh noch vorliegen. Daran kann wohl nach dem Tode Muammar al-Gaddafis und dem endgültigen Zusammenbruch des Gaddafi-Regimes gezweifelt werden.