In den letzten Tagen gab es zwei Nachrichten, die ich nicht vorenthalten möchte:

Al Jazeera hat vor einigen Tagen von neuen Vorwürfen gegen Ahmed Harun berichtet. Ihm wird vorgeworfen, als Governeur von Süd-Kordofan Kriegsverbrechen befohlen zu haben. Süd-Kordofan grenzt an den Südsudan und ist seit einigen Monaten Schauplatz des Konfliktes zwischen Sudan und Südsudan. Harun habe, so der Vorwurf, sudanesische Soldaten dazu aufgerufen, keine Gefangenen zu machen. Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, wovon der Chefankläger des IStGH ausgeht, dann kann der Aufruf ein Kriegsverbrechen nach Art. 8 Abs. 2 lit. b) num. xii) IStGH-Statut darstellen. Wenn die Vorwürfe stimmen, zeigt der Vorfall leider deutlich auf, welche Wirkung einem internationalen Haftbefehl zukommt, der jahrelang nicht vollstreckt wird.

CNN berichtet heute, dass der IStGH die libysche Regierung erneut aufgefordert hat, Saif-al-Islam al-Gaddafi nach Den Haag zu überstellen. Dazu ist hier bereits einiges geschrieben worden (zuletzt hier).

Klarstellung:

Qualifiziert man den Darfur-Konflikt als internationalen bewaffneten Konflikt, dann können die Ankündigungen von Harun Kriegsverbrechen nach Art. 8 Abs. 2 lit. b) num. xii) IStGH-Statut darstellen. Stuft man den Konflikt aber als nicht-internationalen Konflikt ein, wovon auch der IStGH ausgeht, dann ist Art. 8 Abs. 2 lit. e) num. x) IStGH einschlägig.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat mit Resolution 2040 vom 12. März 2012 erneut die Resolutionslage der aktuellen Entwicklung in Libyen angepasst.

Dabei betont der Sicherheitsrat zwar, wie positiv die Entwicklung oft verläuft. Insbesondere erwartet er von den Wahlen im Juni 2012 einen weiteren Fortschritt.

Er zeigt sich aber besorgt über die Gewalt gegen Kinder und Frauen. So müssten deren Menschenrechte gewährleistet werden. Er verweist dabei auf die menschenrechtlichen und humanitär-völkerrechtlichen Verpflichtungen Libyens. Die dafür Verantwortlichen müssten gefunden und zur Verantwortung gezogen werden.

Warum der Sicherheitsrat auf die humanitär-völkerrechtlichen Verpflichtungen verweist, ist nicht nachvollziehbar. Das humanitäre Völkerrecht ist nur in einem bewaffneten Konflikt anwendbar. In Libyen existiert aber seit dem Herbst letzten Jahres weder ein internationaler noch ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt. Der Verweis des Sicherheitsrates geht hier also fehl (ich gehe nicht davon aus, dass der Sicherheitsrat damit humanitär-völkerrechtliche Verpflichtungen für Friedenszeiten schaffen wollte).

In einem Schritt unter Kapitel VII der VN-Charta verlängert er das Mandat der United Nations Support Mission in Libya (UNSMIL) um ein Jahr, wobei nach sechs Monaten eine Zwischenevaluierung vorgenommen werden soll. Diese UNSMIL soll insb. bei dem Übergang zu einem demokratischen Regierungssystem und bei der Entwaffnung weiter Bevölkerungsteile Hilfe leisten.

Der Sicherheitsrat ändert darüber hinaus das bestehende Waffenembargo und die Vermögenseinfrierungen, ohne diese komplett aufzuheben. Dazu verlängert er auch das Mandat der Expertengruppe, die den 1970-Sanktionsausschuss in seiner Arbeit unterstützt.

Nach jeweils 60 Tagen soll der Generalsekretär dem Sicherheitsrat berichten. Man darf also gespannt bleiben, wie es weitergeht.

Am Mittwoch, den 14. März hat der IStGH sein erstes Urteil gefällt. Thomas Lubanga Dyilo, ein kongolesischer Rebellenführer, wurde der Kriegsverbrechen für schuldig befunden. Ein Strafmaß wird später festgesetzt.

Dieses Urteil wird sicherlich eine Flut von Publikationen nach sich ziehen. Die Kollegen Becker und Brunner haben mit ihrem BOFAX vom 19.3. den Anfang gemacht. Im Laufe des Tages sollte es hier zu finden sein.

Am Freitag wurde Abdullah al-Senussi, der ehemalige Geheimdienstchef Libyens, in Mauretanien verhaftet (Bericht auf Spiegel Online). Senussi wird seit dem letzten Sommer mit einem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gesucht. Ihm werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Last gelegt (näheres hier, hier und hier).

Libyen hat die Auslieferung Senussis beantragt. Mauretanien ist nicht Vertragspartei des Römischen Statutes. Es gibt daher keine Verpflichtung, mit dem Strafgerichtshof zu kooperieren oder den Verdächtigen gleich nach Den Haag zu überstellen. Auch die Resolutionen des VN-Sicherheitsrates verpflichten Mauretanien nicht zur Kooperation.

Rechtlich zulässig sind die folgenden Möglichkeiten:

1. Mauretanien liefert Senussi an Libyen aus. Dazu ist es bei einem Antrag Libyens berechtigt. In der Folge kann Libyen

a) seine Strafgewalt selbst ausüben oder

b) Senussi an den IStGH überstellen.

Nach dem Grundsatz der Komplementarität hat die Strafverfolgung durch Libyen sogar Priorität. Erst wenn libysche Behörden nicht willens oder nicht in der Lage sind, ein rechtsstaatliches Verfahren durchzuführen, darf der IStGH ein Verfahren durchführen.

Daneben gibt es eine weitere Möglichkeit:

2. Mauretanien stellt Senussi selbst vor Gericht. Ein solches Verfahren könnte die Vorwürfe der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit umfassen. Es müsste allerdings auf dem Weltrechtsprinzip basieren. Demnach darf jeder Staat über einen Völkerrechtsverbrecher zu Gericht sitzen und dessen Taten strafrechtlich ahnden, selbst wenn es keinen Bezug zum Inland gibt. Die herrschende Meinung erkennt wohl an, dass das Weltrechtsprinzip für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gilt (so auch der deutsche Gesetzgeber, der dies in § 1 des Völkerstrafgesetzbuches vorsieht).

Wahrscheinlich ist, dass Mauretanien Senussi an Libyen überstellt und dort ein Prozess stattfinden wird. Allerdings ist zweifelhaft, ob dieses Verfahren rechtsstaatlichen Grundsätzen genügt. Es sei nur darauf hingewiesen, dass Saif-al-Islam al-Gaddafi, den der IStGH gerne in Den Haag sehen würde (und der selber gerne nach Den Haag überstellt werden würde), noch immer von libyschen Rebellen festgehalten wird. Ob ein Prozess gegen ihn stattfinden wird, ist unklar.

Anfang März hat der IStGH einen Haftbefehl in der Darfur-Situation erlassen. Der nunmehr vierte Haftbefehl erging gegen Abdel Raheem Muhammad Hussein, den derzeitigen Verteidigungsminister des Sudan. In einer früheren Funktion war Hussein Innenminister und Sonderbeauftragter des Präsidenten für Darfur (ähnlich wie Ahmed Harun). Der Haftbefehl erging aufgrund des Verdachts von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Hussein zu Beginn des Konfliktes 2003/2004 begangen haben soll. Damit wächst die Zahl der Beschuldigten auf sechs, wobei das Verfahren gegen einen Beschuldigten eingestellt wurde und das Verfahren gegen zwei Beschuldigte demnächst beginnen soll.

In den nächsten Wochen wird hier eine ausführliche Analyse folgen.

Update: Die Analyse ist nunmehr online und in der Datenbank zu finden.

Al Jazeera hat am 24. Dezember den Tod von Khalil Ibrahim gemeldet (hier). Ibrahim war Anführer des Justice and Equality Moments (JEM), einer der großen Rebellenfraktionen in Darfur (hier). Ein Profil von Ibrahim, der übrigens ein entfernter Verwandter des Präsidenten des Tschad, Idriss Deby, war, finden Sie auf den Seiten von Al Jazeera (Profil).

Am Donnerstag hat der Chefankläger des IStGH dem Sicherheitsrat seinen regelmäßigen Bericht über den Stand der Darfur-Situation vor dem IStGH erstattet.

Neuer Verdächtiger

Zu Beginn berichtet der Ankläger davon, dass ein Haftbefehl gegen einen weiteren Verdächtigen beantragt worden sei. Der derzeitige Verteidigungsminister des Sudan Abdel Raheem Muhammad Hussein stehe unter Verdacht, zu Beginn des Krieges Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit befohlen zu haben. Die Vorwürfe deckten sich dabei mit denen gegen Ahmed Harun und Ali Kushayb (vgl. Analyse Nr. 2).

Hussein war zu Beginn des Darfur-Kinfliktes Innenminister des Sudan und Sonderrepräsentant des Präsidenten in Darfur, ausgestattet mit allen präsidialen Kompetenzen. Einige dieser Kompetenzen soll Hussein an Harun delegiert haben. Hussein sei somit verantwortlich für die Taten des Sicherheitsapparates in Darfur.

Es ist zu begrüßen, dass der Ankläger einen weiteren Verdächtigen, der noch immer in Regierungsverantwortung steht, benannt hat und ein Verfahren gegen diesen anstrengt. Weniger begrüßenswert ist es, dass der Antrag ausdrücklich auch ergeht, um die sudanesische Zentralregierung dazu zu bewegen, Ahmed Harun zu verhaften und an den IStGH auszuliefern.

Stand der laufenden Verfahren

Das Verfahren gegen Banda und Jerbo werde derzeit weiter vorbereitet. Als möglichen Termin für den Start der mündlichen Verhandlung nannte der Ankläger die erste Jahreshälfte 2012. Allerdings habe man sich auf einige wenige Punkte geeinigt, die verhandelt werden sollen. Es geht dabei vor allem um den Angriff auf einen Stützpunkt der AU in Haskanita im September 2007. Sollte der Gerichtshof feststellen, dass die AMIS sich rechtmäßig in Darfur aufgehalten haben, dann sei der Angriff unrechtmäßig – die Verdächtigen stellen in Aussicht, sich in diesem Fall schuldig zu bekennen. Der Ankläger nimmt leider keine Stellung zum Verfahrensstand der anderen Fälle. Dies ist misslich, müssen diese Verfahren doch auch vorangetrieben werden.

Überwachung der Situation in Darfur

Allem voran überwache die Anklagebehörde die Tätigkeiten des Verteidigungsministeriums und dessen Chef. Es bestehe weiterhin die Gefahr, dass dieser seine Position ausnutze, um Verbrechen zu begehen. Daneben bestehe der Verdacht auf Verbrechen gegen humanitäre Helfer in Darfur und auf den Einsatz von Kindersoldaten.

Seine tiefe Besorgnis drückt der Ankläger auch über Vorfälle aus, in denen Zivilisten direkt angegriffen wurden. Nach humanitärem Völkerrecht ist dies grundsätzlich verboten und streng zu ahnden. Insoweit ist dem Ankläger zuzustimmen.

Verstoß gegen Kooperationspflichten

Anfang dieser Woche hat die Vorverfahrenskammer I des IStGH festgestellt, dass sowohl Malawi (hier) als auch der Tschad (hier) gegen ihre Kooperationspflichten verstoßen hätten, indem sie Omar al-Bashir bei dessen Besuch in ihren Staaten nicht festgenommen und an den IStGH überstellt hätten. Eine gewohnheitsrechtliche Ausnahme von der Immunität amtierender Staatsoberhäupter bestehe nicht. Diese Entscheidung ist im Ergebnis zu begrüßen. Denn auf jeden Fall hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine etwaige Immunität al-Bashirs durch die Überweisungsresolution 1593 (2005) aufgehoben. Allerdings ist fraglich, ob eine solche Immunität wirklich besteht (zur näheren Begründung s. meine Ausführungen hier auf S. 791).

Die Staatenwerdung des Südsudan hat die Staatengemeinschaft begleitet. Dazu gehört auch die “UN Interim Security Force for Abyei“,kurz UNISFA, die die umstrittene Region Abyei schützen soll. Das Mandat der UNISFA aus der Sicherheitsratsresolution 1990 (2011) vom 27.6.2011 umfasst vor allem dieÜberwachung der Entmilitarisierung von Abyei, die Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden und den Schutz der Erdölförderanlagen (näheres hier).

Ende November hat der VN-Generalsekretär dem Sicherheitsrat Bericht über die Situation erstattet (S/2011/741 vom 27.11.2011, hier). Die Situation in Abyei sei stabil, aber unvorhersehbar. Zwar sei die Region weitestgehend demilitarisiert, was auch den regelmäßigen Patrouillen der UNISFA zu verdanken sei. Aber vereinzelt sind Soldaten der SLPA und Einheiten der südsudanesischen Polizei dort zu finden. Gerade jetzt, wo die Rückkehr der Vertriebenen eingesetzt habe, stelle die Präsenz der Soldaten und Polizisten aber ein Risiko dar. Noch immer sträubten sich die Parteien des Konflikts, der Sudan und Südsudan, das Abkommen vom 20.6.2011 über Abyei zu implementieren. Von einer gemeinsamen Übergangsverwaltung sei man weit entfernt. Die humanitäre Situation der mehr als 110.000 Flüchtlingen habe sich ebenfalls stabilisiert. Der Generalsekretär empfahl abschließend, das Mandat der UNSIFA um weitere sechs Monate zu verlängern.

Der Sicherheitsrat hat daraufhin das Mandat der UNISFA ausgeweitet. Nunmehr ist die Schutztruppe auch zur Überwachung einiger anderer Abkommen zuständig, die die beiden Konfliktparteien seit dem Erlass der Res. 1990 (2011) geschlossen haben. Ausdrücklich verlängert hat der Sicherheitsrat das Mandat nicht. Da aber das Mandat ausgeweitet wurde, kann es nur bedeuten, dass der Sicherheitsrat die Verlängerung auf unbestimmte Zeit beschlossen hat. Rechnet der Sicherheitsrat also mit langer Präsenz der UNISFA in Abyei?

 

 

SR Res. 2024 (2011) vom 14.12.2011

Um die genauen Umstände des Todes von Muammar al-Gaddafi herrschen nach wie vor Unklarheiten. Der Chefankläger des IStGH hat nunmehr auf einer Pressekonferenz angekündigt, in diesem Vorfall zu ermitteln. An dieser Stelle ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden, dass eine solche Ermittlung wünschenswert und notwendig ist (zuletzt hier, davor hier und hier). Die Ankündigung des Anklägers ist damit zu begrüßen.

Am Sonntag wurde Saif-al-Islam al-Gaddafi, einer der drei Verdächtigen in der Libyen-Situation, von den Behörden der Übergangsregierung festgenommen. Fest steht, dass er sich vor einem Gericht verantworten muss. Offen ist, ob dieses Gericht ein libysches Gericht sein wird oder ob der IStGH den Fall verhandeln wird. Dazu hat der IStGH die Kompetenz – nicht aber den Vorrang. Dieser bleibt bei Libyen. Nur wenn die libschen Gerichte nicht willens oder nicht in der Lage sind, den Fall nach rechtsstaatlichen Grundsätzen zu verhandeln, ist der IStGH subsidiär zuständig. Dies ist Folge des Grundsatzes der Komplementarität (Art. 17 IStGH-Statut), der Grundlage des IStGH-Systems ist.

Fraglich ist, ob die libyschen Behörden in der Lage sind, ein solches Verfahren durchzuführen. Die Antwort müssen die Organe des IStGH finden, vor allem der Ankläger, der die Vorverfahrenskammer I davon überzeugen muss, dass der Fall vor dem IStGH zulässig ist. (Ganz davon abgesehen, ob der Ankläger den Fall nicht lieber an die libyschen Behörden abgeben möchte.)

Zweifel an der Rechtsstaatstreue zumindest einiger Angehöriger der Übergangsregierung sind angebracht. Nach den noch immer ungeklärten Umständen des Todes von Muammar al-Gaddafi (hier und hier) ist das Verfahren gegen ihn vor dem IStGH zu einem Ende gekommen. Die Vorverfahrenskammer I hat das Verfahren am 22.11.2011 eingestellt (hier). Offensichtlich hat die Sterbeurkunde, die der libysche Übergangsrat nach Den Haag geschickt hat, den Ankläger und die Kammer davon überzeugt, dass Gaddafi wirklich tot ist und sich nicht an einem unbekannten Ort versteckt hält.

Man kann der Entscheidung zustimmen. Gaddafi ist tot und damit ist jede strafrechtliche Überprüfung seiner Taten hinfällig. Das ist keine Besonderheit des Völkerstrafrechts, sondern gute rechtsstaatliche Tradition: Auch im deutschen Recht wird ein Verfahren gegen Tote nicht geführt.

Zu erwähnen bleibt nur, dass der IStGH trotz der Einstellung des Verfahrens gegen Gaddafi selbstverständlich für die Umstände seines Todes zuständig bleibt. Dieser Vorfall kann in Den Haag verhandelt werden. Dass dafür Bedarf besteht, ist hier und hier deutlich gemacht worden.